Delir vom Harndrang: Riesige Blase übersehen
Entwickeln betagte Männer ein hyperaktives Delir, ist eine komplette körperliche Untersuchung wichtig. Was passiert, wenn diese unterbleibt, zeigt das Beispiel eines hyperaktiven 95-jährigen Pflegeheim-Patienten. Er ließ sich weder mit starken Medikamenten noch mit einer Fixierungsdecke bändigen und wurde notfallmäßig ins Krankenhaus verlegt.
Die Ärzte dort erlebten einen äußerst agitierten, hypertonen und tachykarden Patienten mit ansonsten unbeeinträchtigten Vitalparametern. Beim Entkleiden für die körperliche Untersuchung fiel den Kollegen ein großer, prall-elastischer, aber nicht pulsierender Bauchtumor auf. Aus dem Umfeld des Patienten hat diesen bisher niemand bemerkt.
Sonographisch erwies sich das „Gewächs“ als prall gefüllte Harnblase, die an der weitesten Stelle einen Durchmesser von 20 cm aufwies. Der verkannte Urinstau hatte bereits zu einer ausgeprägten bilateralen Hydronephrose geführt. Das Labor ergab ein postrenales Nierenversagen mit einer GFR < 15 ml/min, schreibt Dr. Tomas Karajan vom Landesspital Liechtenstein in Vaduz. Nach der Entlastung mit einem Blasenkatheter erholte sich der Patient rasch. Das Delir verschwand noch am selben Tag. Auch die Einschränkung der renalen Funktion bildete sich vollständig zurück, wenn auch nicht ganz so schnell.
Ein Harnverhalt ist bei älteren Männern nicht selten der Auslöser für einen deliranten Zustand, betont der Notfallmediziner. Er empfiehlt deshalb, bei betroffenen Patienten stets an diese Ursache zu denken. Außerdem unterstreicht dieser Beispielfall, wie wichtig eine gründliche (Fremd-)Anamnese und die körperliche Untersuchung am entkleideten Patienten sind.
Quelle: Karajan TV et al. Internist 2020; 61: 1193-1195; DOI: 10.1007/s00108-020-00877-y