Interview Nutzenbewertung der CAR-T-Zellen fällt trotz Zweitmalignomen positiv aus

Autor: Dr. Miriam Sonnet

Prof. Dr. ­Carsten Müller-Tidow erläutert, auf was bei einer CAR-T-Zell-Behandlung geachtet werden muss. Prof. Dr. ­Carsten Müller-Tidow erläutert, auf was bei einer CAR-T-Zell-Behandlung geachtet werden muss. © Dmitry Kovalchuk – stock.adobe.com

Neben ICANS und CRS kann es nach einer CAR-T-Zell-Therapie zu sekundären Tumoren kommen. Es gibt Hinweise, dass diese in direktem Zusammenhang mit den CAR-T-Zellen stehen, was kürzlich zu vielen Diskussionen in der Presse führte. Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow vom Uniklinikum Heidelberg ordnet das Risiko ein und erläutert, auf was Behandelnde achten müssen.

Für welche Indikationen sind CAR-T-Zellen zugelassen?

Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow: Bisher gibt es einerseits CAR-T-Zellen, die sich gegen das CD19-Antigen auf B-Zellen richten, und die für eine ganze Reihe von B-Zell-Lymphomen und für die B-ALL indiziert sind. Andererseits wurden CAR-T-Zellen für das Multiple Myelom zugelassen. Sie zielen auf das BCMA-Ober-
flächenantigen ab.

Was sind typische Toxizitäten?

Prof. Müller-Tidow: Vor der CAR-T-Zell-Gabe erfolgt eine Vorkonditionierung, in der Regel mit Fludarabin und Cyclophosphamid. Diese führt zu den typischen akuten Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Übelkeit, Erbrechen und Abgeschlagenheit. In eigentlich allen Fällen kommt es nach der CAR-T-Zell-Therapie zu Zytopenien, die mit einer Immunsuppression und Infektgefährdung einhergehen.

Typisch sind außerdem das Zytokinfreisetzungssyndrom und neurologische Toxizitäten, die auch als ICANS* bezeichnet werden. Ersteres verursacht systemische Entzündungsreaktionen und Fieber. Behandeln lässt sich das Zytokinfreisetzungssyndrom mit fiebersenkenden Mitteln, Tocilizumab und in einigen Fällen mit Kortison. 
ICANS führt unter anderem zu Verwirrtheit und Bewusstseinstrübungen. Die Therapie erfolgt typischerweise mit Kortison. In den meisten Fällen sind CRS und ICANS gut behandelbar.

In einer aktuellen Publikation werden 22 Fälle von T-Zell-Tumoren beschrieben, die nach der Behandlung mit CAR-T-Zell-Produkten aufgetreten sind. Um welche Tumoren handelte es sich und in welcher Zeit haben sich diese entwickelt?

Prof. Müller-Tidow: Im Wesentlichen waren das verschiedene T-Zell-Lymphome – sowohl solche an der Haut als auch weitere. Es ist damit zu rechnen, dass im Prinzip jede Art von T-Zell-Lymphomen auftreten kann. Das Risiko ist dabei relativ gering: Nach derzeitigem Stand bekommt etwa eine von 400 Personen nach einer CAR-T-Zell-Therapie ein T-Zell-Lymphom.

Die meisten Patient:innen entwickelten die T-Zell-Tumoren innerhalb von ein bis zwei Jahren. Die Zweitmalignome treten also relativ schnell auf. Bisher nutzen wir CAR-T-Zellen in Europa erst seit acht Jahren in der klinischen Routine, sodass noch keine Langzeitdaten für eine große Anzahl von Patient:innen vorliegen. Wir gehen aber davon aus, dass CAR-T-Zellen bei den meisten Behandelten irgendwann aus dem Körper wieder verschwinden und das Langzeitrisiko für sekundäre Tumoren insgesamt eher gering ausfällt.

Stehen diese Tumoren in Zusammenhang mit den CAR-T-Zellen?

Prof. Müller-Tidow: Ja, denn in den sekundären Tumoren lässt sich CAR-DNA nachweisen. Es gibt also wahrscheinlich einen direkten Zusammenhang zwischen T-Zell-Tumoren und Therapie, dies muss noch genauer untersucht werden. 

Entscheidend ist aber die Risiko-Nutzen-Bewertung: Alle Patient:innen, die CAR-T-Zellen erhalten, sind lebensbedrohlich erkrankt. Die Lebenserwartung dieser Betroffenen ist ohne die CAR-T-Zell-Therapie schlecht, sodass insgesamt die Vorteile der CAR-T-Zell-Therapie gegenüber potenziellen Risiken überwiegen.

Wie können CAR-T-Zellen mechanistisch sekundäre Malignome verursachen?

Prof. Müller-Tidow: Zum einen kann es durch die CAR-T-Zell-Therapie zu einer starken Stimulation der T-Zellen kommen, die dadurch leichter transformieren können. Zum anderen kann die viral vermittelte Integration der CAR-DNA ins Genom der T-Zellen tumorigen wirken.

Heidelberger Studie zur CAR-T-Zell-Therapie

Forschende der Universitätsklinik Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen behandelten erstmals 13 erwachsene ALL-Patient:innen mit gegen CD19 gerichteten CAR-T-Zellen der dritten Generation (CAR Number 1-Studie; HD-CAR-1) in Dosierungen zwischen 1 × 106 und 50 × 106 CAR-T-Zellen/m2.

Die Erkrankten hatten auf die Standardtherapie nicht angesprochen oder ein Rezidiv erlitten.
Die CAR-T-Zellen verfügen über zwei kostimulatorische Domänen. Alle Behandlungsschritte, ebeno wie die Herstellung der CAR-T-Zellen und das Follow-up der Patient:innen erfolgten in Heidelberg.

Zehn Teilnehmende sprachen auf die Therapie an, davon acht komplett. Bei fünf Patient:innen konnten die Forschenden keine minimale Resterkrankung mehr nachweisen. Nach einem Jahr Follow-up war mehr als die Hälfte der Betroffenen am Leben, das PFS betrug 38 %. Keine Person entwickelte ICANS oder ein höhergradiges CRS.

Mit den CAR-T-Zellen der dritten Generation eröffnen sich neue therapeutische Perspektiven für Erkrankte mit rezidivierter/refraktärer ALL, so die Autor:innen.

Quelle:
Schubert ML et al. J Hematol Oncol 2023; 16: 79; DOI: 10.1186/s13045-023-01470-0, Pressemitteilung NCT Heidelberg

Was sollten Onkolog:innen diesbezüglich beachten?

Prof. Müller-Tidow: Die Aufklärung der Patient:innen steht an erster Stelle. Sie müssen über die Risiken, potenzielle Malignität und die Möglichkeit von Sekundärtumoren Bescheid wissen. Im Rahmen der Chemotherapie ist die Aufklärung über diese Risiken Standard. Natürlich muss die Aufklärung an den jeweiligen Stand der Wissenschaft angepasst werden.

Zwar haben bisher einige tausend Erkrankte CAR-T-Zellen erhalten, aber eben noch nicht so viele, dass man weitere Nebenwirkungen ausschließen könnte. Da es zu solchen bisher unbekannten Toxizitäten kommen kann, muss jede Patientin und jeder Patient eine aufmerksame und regelmäßige Nachsorge erhalten. Diese erfolgt zunächst engmaschig an den Behandlungszentren, danach können die Patient:innen von Fachärzt:innen der Hämatologie/Onkologie betreut werden. Der enge Austausch ist sehr wichtig, um frühzeitig Probleme zu erkennen. Treten unklare Befunde, neue Symptome oder zusätzliche Erkrankungen auf, sollte man mit dem behandelnden Zentrum Rücksprache halten und die Beschwerden gut dokumentieren, um herauszufinden, ob der Befund mit der CAR-T-Zell-Therapie zusammenhängt.

Haben Sie einen solchen Fall in der klinischen Praxis bereits erlebt?

Prof. Müller-Tidow: Nein, in unserem Klinikum kam es nach einer CAR-T-Zell-Therapie noch zu keinem Zweitmalignom. Grundsätzlich ist aber nach jeder Krebsbehandlung die Gefahr erhöht – zum Beispiel dasjenige für die Entwicklung einer Leukämie nach einer adjuvanten Brustkrebstherapie. Ein gewisses Risiko besteht immer. Gerade Patient:innen, die CAR-T-Zellen erhalten, sind oftmals stark vorbehandelt, sodass die Gefahr für Zweitmalignome steigt. Die CAR-T-Zell-Therapien bilden aber nur einen Teil dieses Risikos ab.

Was sind Unklarheiten in Bezug auf die CAR-T-Zell-Therapie?

Prof. Müller-Tidow: Wir wissen bisher nicht, wann der beste Zeitpunkt für eine CAR-T-Zell-Therapie ist und ob man sie eventuell schon früher einsetzen sollte. Weiterhin bestehen Unklarheiten dahingehend, ob und wie sich CAR-T-Zellen mit anderen Behandlungen kombinieren lassen.

Langzeitnebenwirkungen sind aufgrund des bisher beschränkten Zeitraums und der relativ kleinen Zahl der Patient:innen weitestgehend unbekannt. Zum Vergleich: Mit mRNA-Vakzinen wurden mittlerweile Milliarden von Menschen geimpft, sodass sich selbst seltenste unerwünschte Ereignisse aufdecken lassen. Mit CAR-T-Zellen hingegen wurden bisher rund 30.000–40.000 Personen behandelt. Um Toxizitäten mit einer Häufigkeit von z.B. 1:10.000 zu detektieren, braucht es noch Zeit.

Welche Weiterentwicklungen von CAR-T-Zellen werden zurzeit untersucht, z.B. um das Nebenwirkungsrisiko zu senken und die Wirksamkeit zu erhöhen?

Prof. Müller-Tidow: In Heidelberg prüfen wir zurzeit in einer Studie CAR-T-Zellen der dritten Generation mit zwei Signalmolekülen, sogenannten kostimulatorische Domänen. Wir erhoffen uns dadurch, die Therapie verträglicher und wirksamer zu machen. 

Es gibt darüber hinaus die Möglichkeit, die CAR-T-Zellen mit einer anderen Art der Immunmodulation zu kombinieren, beispielsweise mit BTK-Inhibitoren oder auch mit Lenalidomid. Des Weiteren zielen erste Studien darauf ab, mittels Genome-Editing die Haltbarkeit von CAR-T-Zellen zu erhöhen, damit diese bei den Patient:innen länger aktiv sind.

* Immune Effector Cell-Associated Neurotoxicity Syndrome

Interview: Dr. Miriam Sonnet

Prof. Dr. med. Carsten Müller-Tidow, Klinik für Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg Prof. Dr. med. Carsten Müller-Tidow, Klinik für Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg © zVg