Patienten Einsicht in die Krankenakte zu gewähren, kann Fehler reduzieren
Was hierzulande noch als Zukunftsvision gilt, ist in den Vereinigten Staaten für 44 Millionen Menschen bereits Realität: Sie können ihre Patientenakten frei im Internet einsehen. 2010 startete das Modellprojekt, inzwischen wird das Prinzip von vielen Gesundheitsdienstleistern angeboten – weil Ärzte davon profitieren, wenn die Patienten ihnen genauer auf die Finger sehen. Das belegt eine neue Studie.
OpenNotes nannte sich das Projekt, das erstmals 20 000 Patienten die Möglichkeit eröffnete, ihre elektronischen Krankenakten selber zu lesen. Inzwischen findet die ursprünglich amerikanische Initiative zunehmend auch andernorts Fans. Schweden folgt beispielsweise dem amerikanischen Vorbild, weil inzwischen als belegt gilt, dass diese Transparenz zu einer besseren Versorgung der Kranken führt und sich positiv auf die Compliance auswirkt. Zudem scheint die Patientensicherheit zu profitieren.
Bei diesem Vier-Augen-Prinzip fallen bislang unbemerkte Fehler auf, glauben Dr. Sigall K. Bell von der Harvard Medical School und Kollegen. Um diese Hypothese zu überprüfen, haben sie per Internet 22 889 Patienten aus insgesamt 79 Krankenhäusern und Community Practices befragt.
21,1 % von ihnen hatten mindestens einen Fehler in ihren Akten entdeckt. Meist entsprach die verzeichnete Diagnose nicht vollständig der Realität, das berichteten 27,5 % der Befragten. Bei 23,9 % enthielt die Krankengeschichte einen Fehler. Bei 14 % waren Allergien oder Medikamente falsch notiert, manchmal stimmten Testergebnisse nicht, oder es waren Patienten verwechselt worden. In 42,3 % der fehlerhaften Akten fanden sich sogar Makel, die die Betroffenen als schwer oder sogar als äußerst schwer beschrieben. Ältere sowie kränkere Patienten klagten darüber jeweils etwa doppelt so häufig wie andere Gruppen. Bei ihnen könnte das Einsehen der Krankenakten daher besonders sinnvoll sein, schreiben die Autoren.
Eine Möglichkeit, die Versorgung zu verbessern
Zwar wurde keiner der gemeldeten Fehler durch Fachleute verifiziert; die ermittelte Quote liege aber in einem Bereich, den man aus anderen Studien kenne, schreiben die Autoren um Dr. Bell. Ansätze wie OpenNotes seien vor allem als Chance für Arzt und Patient zu begreifen – weil sie helfen könnten, die Kommunikation zwischen beiden Seiten zu verbessern und die Zahl der Fehler, Verzögerungen und überflüssigen Untersuchungen zu senken.
Quelle: Bell SK et al. JAMA Netw Open 2020; 3: e205867; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2020.5867