Ein Pacing-Modell gegen Post-COVID Patientin profitierte von individuellem Konzept
In der Behandlung von Post-COVID mit chronischem kognitivem und motorischem Müdigkeits- bzw. Erschöpfungssyndrom (ME/CSF) hat sich Pacing bewährt. Dabei handelt es sich um ein verhaltenstherapeutisches Konzept für individuelles Aktivitäts- und Energiemanagement. Es hat zum Ziel, dass die Betroffenen zwar aktiv bleiben, sich aber körperlich und geistig nicht überanstrengen, erläutern Dr. Lienhard Dieterle vom Neurozentrum Ravensburg und Hans Richter, ehemals Universitätsspital Basel. Wie effektiv ein auf den Einzelfall zugeschnittenes Programm sein kann, zeigen sie anhand einer Kasuistik auf.
In Folge einer schweren Coronainfektion entwickelte eine mittlerweile 59 Jahre alte Frau eine ausgeprägte körperliche und kognitive Erschöpfung, die auch mit Ängsten und depressiven Phasen einherging. Eine Reha zehn Monate nach Krankheitsbeginn hatte keinen Erfolg gebracht, im Gegenteil: Ein Bewegungsprogramm, Übungen zum Muskelaufbau und kognitives Training hatten ihr Beschwerdebild sogar verschlechtert.
ATP-Mangel zeigte gestörte Mitochondrienfunktion an
Die neurologischen sowie kardiologischen Befunde der Frau waren genauso unauffällig wie die Routinelaborwerte. TNF-alpha wurde jedoch erhöht gemessen, was auf eine moderate systematische Entzündungsreaktion hindeutete. Als Ursache von Post-COVID wird, so die beiden Autoren, eine gestörte Mitochondrienfunktion postuliert. Und tatsächlich lag der leukozytäre ATP-Wert der Patientin deutlich zu niedrig. Der Spiegel des für die Atmungskette relevanten Coenzyms Q10 war zwar im Referenzbereich, präventiv sollten nach Aussage von Dr. Dieterle und seinem Kollegen aber möglichst > 2,5 mg/l erreicht werden. Allerdings gebe es für eine Substitution des Enzyms bisher keine Evidenz, und auch ATP sei als Diagnose- und Verlaufsparameter beim Post-COVID-Syndrom noch nicht gesichert.
Zusammen mit ihrem Lebensgefährten erarbeitete die Patientin für sich ein Pacing-Programm. Als relevante Punkte berücksichtigte sie dabei körperliche Symptome, Emotionen, Gedanken, Verhalten und Triggermechanismen. Aktivitäten und Termine plante sie immer sonntags für die ganze Woche und bewertete am Ende jedes Folgetages deren Konsequenzen für die genannten Faktoren anhand eines Grün-Gelb-Rot-Ampelschemas.
Auf diese Weise konnte sie Überlastungen rasch erkennen und mit der Zeit lernen, körperliche und kognitive Belastungen zu steuern. Sie schaffte es, ihre Beschwerden in einem erträglichen grünen Bereich zu halten, wieder wichtige Termine wahrzunehmen, sich in gewissem Umfang körperlich zu betätigen und soziale Kontakte zu pflegen.
Mit der Zeit wurde die Itemliste um die täglich zurückgelegte Anzahl Schritte, die Herzfrequenz und die Schlafqualität erweitert. Anhand der via Fitnessuhr erfassten Parameter stellten sich Belastungsobergrenzen von 5.000 – 9.000 Schritten pro Tag und 90 Herzschlägen pro Minute heraus.
Mithilfe ihres Pacing-Modells konnte die Patientin auch ihre gedrückte Stimmung und ihre Zukunftsängste „auffangen“. Bei einem Kontrolltermin nach fünf Monaten gab sie zu Protokoll, dass ihr Energielevel im Vergleich zur Vor-Coronazeit von 30 % auf 60 % angestiegen sei. Parallel dazu hatte sich der ATP-Wert um 0,22 µM verbessert, lag aber immer noch deutlich unter dem Referenzbereich. Der Coenzym-Q10-Spiegel hatte sich trotz Substitution des Enzyms nicht verändert.
Quelle: Dieterle L, Richter H. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: 1159-1162; doi: 10.1055/a-2373-5038