Querschnittslähmung: Was über den intermittierenden Katheterismus zu wissen ist
Für Patienten mit neurogener Dysfunktion des unteren Harntrakts ist der intermittierende Katheterismus (IK) die Methode der Wahl, um die Blase zu entleeren. Je nach Setting und Anwender werden unterschiedliche Ansprüche an seine Durchführung gestellt, schreiben die Autoren einer Leiltlinie zum Thema unter Federführung von Dr. Ralf Böthig, Abteilung für Neuro-Urologie, Berufsgenossenschaftliches Klinikum Hamburg. Prinzipiell unterscheiden sie drei Formen des Katheterismus:
- Der sterile Katheterismus erfordert hochsterile Bedingungen plus Mundschutz/Haube wie im OP. Ihn brauchen Immunsupprimierte und Brandverletzte
- Für den aseptischen Katheterismus sind hygienische Händedesinfektion, steriler Einmalkatheter, Meatusdesinfektion, steriles Gleitmittel (falls nötig) und das Einführen des Katheters in Non-Touch-Technik Voraussetzung. Das aseptische Vorgehen ist in Klinik, Pflegeeinrichtungen und im häuslichen Umfeld der Patienten die Regel.
- Beim hygienischen Katheterismus werden Meatus und Hände nur gereinigt. Das Einführen des sterilen Katheters gelingt oft nur ohne Non-Touch-Technik. Diese Variante kommt infrage, wenn die funktionellen und kognitiven Fähigkeiten des Patienten für die aseptische nicht ausreichen und man ihm den Fremdkatheterismus ersparen will.
Die oft als ausreichend propagierte Händereinigung unmittelbar vor dem intermittierenden Katheterismus ist für Rollstuhlfahrer in vielen Situationen gar nicht möglich. Die Hände zu desinfizieren, gelingt dagegen fast immer. Z.B. nachdem sie vom Waschbecken zur Toilette gerollt sind, sich zum Erreichen der optimalen Sitzposition auf den Reifen abgestützt haben oder wenn sie sich mangels einer erreichbaren Toilette in einer Nische katheterisieren müssen.
Blasenfüllung sollte 500 ml nicht überschreiten
Querschnittgelähmte katheterisieren sich zwei- bis zehnmal täglich, meist genügen ihnen sechs Entleerungen in 24 Stunden, so das Ergebnis einer Datenerhebung. Die optimale Ausscheidungsmenge liegt zwischen 1500 und 2000 ml am Tag, heißt es in der Leitlinie. Um die individuelle beste Katheterisierungsfrequenz und -zeit sowie Urinmenge zu ermitteln, sollte jeder Patient ein Miktions- und Trinkprotokoll führen. Pro Ableitung darf die Blasenfüllung 500 ml nicht überschreiten. Bei Mengen unter 100 ml oder über 500 ml ist eine Kontrolle des Regimes angezeigt. Außerdem sollte man prüfen, ob der Gelähmte zu orthostatischen Reaktionen neigt, denn sie können die Harnproduktion erhöhen.
Eine Begrenzung der Katheterisierungsfrequenz aus ökonomischen Gründen lässt sich medizinisch nicht rechtfertigen, betonen die Leitlinienautoren. Bei Bedarf sollte man neben dem Kathetermaterial aufsaugende (Vorlagen, Inkontinenzhosen etc.) und ableitende (Kondomurinal, Bein- und Bettbeutel, Befestigungsbänder) Inkontinenzhilfsmittel verordnen.
Die intermittierende Harnableitung gelingt im Stehen, Sitzen und Liegen. Männer müssen die Vorhaut zurückziehen und den Penis strecken, um urethrale Verletzungen zu vermeiden. Frauen spreizen die Labien und können bei Bedarf Spiegel und Beinspreizer benutzen. Auf keinen Fall darf der Katheter mit Gewalt eingeführt werden. Bei (anhaltenden) Komplikationen wie Hautveränderungen, Beckenboden- oder Sphinkterspastik, Schmerzen und Inkontinenz ist eine ärztliche Konsultation angezeigt. Regelmäßige neuro-urologische Untersuchungen dienen der Prophylaxe (IK-Technik überprüfen).
Katheterismus und Überdehnung der Harnblase können eine autonome Dysreflexie auslösen. Die wichtigsten Symptome: Gänsehaut, starkes Schwitzen und klopfende Kopfschmerzen aufgrund des Blutdruckanstiegs. Beim Auftreten dieser Symptome sollte die Blase entleert und nach weiteren Ursachen (z.B im Darm) gesucht werden, gegebenenfalls muss man den Blutdruck senken.
Mindestens einmal im Jahr Katheterurin untersuchen
Als häufigste Komplikation des intermittierenden Katheterismus nennt die Leitlinie den Harnwegsinfekt (HWI). Es gilt aber, zwischen einer asymptomatischen Bakteriurie und einem symptomatischen HWI (s. Kasten) zu differenzieren, wobei die Sensitivität von Beschwerden sehr gering ist. Vor dem Beginn einer Antibiotikatherapie steht idealerweise die Urinkultur. Patienten mit symptomatischem Harnwegsinfekt erhalten eine resistenzgerechte Behandlung über mindestens sieben Tage. Kranke mit einer asymptomatischen Bakteriurie brauchen Antibiotika nur vor einer invasiven Diagnostik oder Therapie.
Mögliche Zeichen einer Harnwegsinfektion
- Dysurie, starker Harndrang, Pollakisurie, neu auftretende oder verschlimmerte Inkontinenz
- Flankenschmerz, klopfschmerzhaftes Nierenlager, suprapubischer Schmerz
- Fieber
- vermehrte Spastik
- Zeichen einer autonomen Dysreflexie
- bei IK: höhere Katheterisierungsfrequenz mit geringerem Entleerungsvolumen, Störungen der Katheterpassage
- übelriechender oder trüber Urin (nicht als einziges Zeichen!)
Quelle: S2k-Leitlinie „Management und Durchführung des Intermittierenden Katheterismus (IK) bei neurogener Dysfunktion des unteren Harntrakts“, AWMF-Register-Nr. 043/048, www.awmf.org