Schwindel erkannt, Schlaganfall gebannt: Atypische Symptome bei Infarkten im hinteren Hirnkreislauf
Hirnstamm, Kleinhirn, Okzipitallappen, Teile des Thalamus und manchmal auch temporale sowie parietale Regionen – all diese zerebralen Strukturen werden über die Aa. vertebrae bzw. A. basilaris durchblutet. Zahlen aus Großbritannien zeigen: Rund jeder fünfte ischämische Hirnschlag betrifft die hintere Zirkulation. Vor allem Männer im Durchschnittsalter von 60,5 Jahren finden sich unter den jährlich mehr als 20 000 Patienten.
Trotz dieser hohen Zahlen erkennen viele Kollegen die Krankheit nur selten, schreibt ein Team um Dr. Gargi Banerjee vom UCL Institute of Neurology and the National Hospital for Neurology and Neurosurgery in London. Im Gegensatz zu Infarkten im vorderen Kreislauf missdeuten sie die Symptome dreimal häufiger und lassen Betroffenen eine falsche Behandlung zukommen. Für Patienten kann das eine deutlich schlechtere Prognose bedeuten. Sie landen mitunter erst nach mehr als 4,5 Stunden in der Klinik und überschreiten damit das Fenster für eine effektive Lysetherapie.
Sprech- und Schluckstörungen können in die Irre führen
Verantwortlich für viele Fehldiagnosen sehen die Autoren jene eher unspezifischen Symptome wie Diplopie, Sprech- und Schluckstörungen oder Kopfschmerzen. Einige Beschwerden treten bei einem posterioren Insult häufiger auf (s. Tabelle). Liegen mindestens zwei davon vor, gilt es aufzuhorchen. Fast die Hälfte aller Betroffenen klagt über einen plötzlich einsetzenden Schwindel. Insbesondere Dreh- bzw. Schwankschwindel und Gleichgewichtsstörungen weisen auf die Ischämie im hinteren Stromgebiet hin, wobei die eindeutige Vertigo-Zuordnung im Alltag oft nicht gelingt.
Häufige Symptome | |
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Schwindel | fast 50 % |
einseitige Schwäche in den Gliedmaßen | ca. 40 % |
Dysarthrie | ca. 30 % |
Gangataxie | ca. 30 % |
einseitige Ataxie | ca. 30 % |
Kopfschmerzen | ca. 28 % |
Übelkeit/Erbrechen | ca. 27 % |
Nystagmus | ca. 25 % |
Eine detaillierte Anamnese hilft weiter: So berichtet ungefähr jeder vierte Patient über eine vergangene transitorisch ischämische Attacke. Die akuten Beschwerden starten oft schlagartig, bei atherosklerotischen Erkrankungen oder Verschlüssen in kleinen Gefäßen mitunter schleichend bzw. verzögert. Fragen zu Vorhofflimmern und kardiovaskulären Risikofaktoren gehören deshalb dazu. Neu aufgetretene einseitige Nackenschmerzen, Kopf- und Genicktraumata deuten auf eine arterielle Dissektion hin, die etwa ein Viertel der posterioren Insulte ausmacht. Folglich sollten Sie auch bei Jüngeren ohne kardiale Altlasten an die Erkrankung denken.
Kopf-Impuls-Test hilft beim Ausschluss
Die Autoren empfehlen eine komplette neurologische Untersuchung mit Fokus auf Augen, Gliedmaßen und Koordination. Der bei Schlaganfällen sonst zuverlässige FAST*-Test (Gesicht, Arme, Sprache, Zeit) fällt teils negativ aus. Bestehen akute Gleichgewichtsstörungen, eignet sich der Kopf-Impuls-Test inkl. Nystagmus- und Abdecktest (HINTS**). Ein negatives Ergebnis hilft, einen Apoplex auszuschließen. CT oder MRT bestätigen Stenosen bzw. Verschlüsse. Allerdings liefert die CT vor allem vom Hirnstamm ungenaue Bilder, schreiben die Experten.
Die posteriore Ischämie schwenkt „Red Flags“
- Schwindel tritt schlagartig auf oder Gleichgewichtsstörung geht mit mind. einem weiteren Symptom einher (Kopfschmerzen, Gang- oder Bewegungsstörung, Dysarthrie, Dysphagie, Sehstörung)
- Schlagartiger Schwindel oder Gleichgewichtsstörung plus eines positiven HINTS
- Migränepatienten zeigen zeitgleich mit einer Attacke ein neues Symptom oder die Beschwerden sind anders als gewohnt
- Mind. zwei neue akute Symptome oder ein neues fokal-neurologisches Symptom tritt auf
* Face-Arms-Speech-Time
** Head Impulse, Nystagmus, Test of Skew
Quelle: Banerjee G et al. BMJ 2018; 361: k1185