Cybergrooming Sexuelle Gewalt im Internet
Cybergrooming ist eine ernste Bedrohung für Kinder und Jugendliche, die mit der COVID-19-Pandemie weiter zugenommen hat. Das geht aus einer aktuellen Übersichtsarbeit einer Gruppe von Kinder- und Jugendlichenpsychiatern um Dr. Frank Paulus vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg hervor. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Anbahnung sexueller Kontakte zu Minderjährigen im Internet.
Cybergrooming wird im Vergleich zu sexuellen Übergriffen in der realen Welt von den Kindern und Jugendlichen selbst eher verharmlost, schreiben die Autoren. Dies geschieht völlig zu Unrecht, denn Cybergrooming bahnt den Weg zum physischen Missbrauch. Unabhängig davon haben auch die online begangenen Taten massive und schädliche Auswirkungen auf die Opfer.
Zu den möglichen Folgen des Online-Missbrauchs zählen teils lang anhaltende psychische Probleme wie Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Borderline- und Angsterkrankungen. Auch selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken sowie der kompensatorische Konsum von Alkohol und Marihuana sind mögliche Reaktionen der Opfer. Kommt es zudem zum realen Treffen mit sexuellen Handlungen, können Sexual- und Essstörungen sowie spezifische Veränderungen der Stimmungsregulation resultieren.
In Verdachtsfällen schafft eine gezielte Anamnese und Psychodiagnostik Klarheit. Dabei sind folgende Fragen hilfreich:
- Wurdest du schon einmal nach Onlinebildern oder -videos von dir mit sexuellem Inhalt gefragt?
- Wurden dir über das Internet oder Smartphone Fragen zu Sex gestellt?
- Wurdest du zu Cybersex aufgefordert, z.B. per Webcam?
- Hat dich jemand, den du digital kennengelernt hast, aufgefordert im realen Leben Sex mit ihm oder ihr zu haben?
- Hat dir jemand Fotos oder Videos mit sexuellem Inhalt geschickt?
- Hast du Fotos oder Videos von dir selbst mit sexuellem Inhalt verschickt?
- Hast du eine Person im realen Leben getroffen, die du digital kennengelernt hast?
- Hattest du im realen Leben sexuellen Kontakt mit einer Person, die du digital kennengelernt hast?
Cybergrooming ist in Deutschland als eine Form des sexuellen Missbrauchs von Kindern bis zum Erreichen des 14. Lebensjahres strafbar. Der Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn kein körperlicher Kontakt stattfand. Seit Januar 2020 wird bereits der Versuch, Kinder im Internet mit einer Missbrauchsabsicht anzuschreiben, strafrechtlich verfolgt.
Sex mit Jugendlichen unter 16 Jahren ist eine Straftat, wenn der Täter älter als 21 ist. Darüber hinaus machen sich Volljährige strafbar, wenn sie für sexuelle Handlungen mit Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Geld oder materielle Güter bezahlen. Nicht selten kommt es im Rahmen des Cybergroomings noch zu weiteren Straftaten wie zum Beispiel dem Anfertigen und Verbreiten von kinderpornografischen Fotos und Videos. Beweise für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen sowie entsprechende Hinweise aus dem ärztlichen oder psychotherapeutischen Gespräch sollten für den Fall einer Strafverfolgung sorgfältig dokumentiert werden.
Sexuelle Übergriffe sind für die Betroffenen ein traumatisches Ereignis. Die Reaktionen darauf können unmittelbar danach, aber auch erst Wochen später auftreten. Während Mädchen eher zu Internalisierungssymptomen wie Nervosität oder Traurigkeit und zu körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Herzrasen neigen, zeigen Jungen häufiger Externalisierungszeichen wie Reizbarkeit, Ungehorsamkeit, oppositionelles Verhalten oder Lügen.
Eine posttraumatische Belastungsstörung wird wahrscheinlich, wenn die Symptome über mehr als vier Wochen bestehen bleiben und weitere Anzeichen wie Vermeidung, Wiedererleben oder Schlafstörungen hinzukommen. Die Betroffenen benötigen eine schnelle und gezielte Therapie, die sich auf das Trauma fokussiert. Zur psychischen Stabilisierung und Entwicklung von Stressresilienz bei emotional dysregulierten Kindern und Jugendlichen hat sich das Stress Traumasymptoms Arousal Regulation Treatment (START) bewährt.
Bereits im Alter von zwölf Jahren haben viele Kinder erste Erfahrungen mit Cybergrooming gemacht. Deshalb ist es wichtig, präventive Maßnahmen möglichst früh starten zu lassen. Einen gewissen Schutz für Kinder und Jugendliche vor Cybergrooming bieten unter anderem die Teilnahme an spezifischen Präventionsprogrammen, Aufklärungsarbeit sowie resilienzbasierte Interventionen. Wichtig ist darüber hinaus, dass Eltern für eine altersgerechte Mediennutzung bei ihren Kindern sorgen und den Zugang zum Internet gegebenenfalls einschränken.
Beispiele für bekannte Risikofaktoren für Cybergrooming sind:
- Verschicken oder Veröffentlichen von provokativen Bildern und Videos („Sexting“)
- Persönlichkeitsmerkmale, die für ein geringes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sprechen sowie psychische Probleme
- Streit im familiären Kontext oder mit Freunden
- hohe Nutzung von Onlinespielen und hohe Pornografieexposition
Quelle: Paulus FW et al. internistische praxis 2023; 66: 502-520