So wirkt sich die Pandemie auf das Gesundheitsverhalten aus
Die Maßnahmen und Regeln zur Eindämmung von SARS-CoV-2-Infektionen (soziale Kontakte reduzieren, Abstand halten, Maske tragen etc.) wirken sich erheblich auf das alltägliche Leben aus. Vermutlich beeinflussen sie auch das Bewegungs-, Sucht- und Ernährungsverhalten der Menschen. Um dies zu erforschen, haben Susanne Jordan und ihre Kollegen von der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring am RKI Publikationen ausgewertet, die zwischen Ende Februar und Mitte Juni 2020 zu dem Thema erschienen sind.
Erhebungen eines Herstellers von Fitness-Armbändern ergaben, dass die Zahl von Schritten in Deutschland im März 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr um 11 % geringer war. Eine Befragung aus Belgien zeigt, dass über 55-Jährige, Personen mit geringem Bildungsniveau und Menschen, die vor Beginn der Einschränkungen in Sportvereinen aktiv waren oder zusammen mit Freunden trainierten, während des Lockdown seltener aktiv waren. Repräsentative Daten zum Aktivitätsniveau in verschiedenen Lebensbereichen, die eine differenzierte Analyse ermöglichen würden, fehlen bislang allerdings, erklären die Autoren.
Schlechtere Ernährung?
Mehrere Querschnittsstudien aus Europa und Australien weisen darauf hin, dass sich die Menschen seit Beginn der Pandemie eher schlechter ernähren, also z.B. mehr Süßwaren und Snacks und weniger frisches Obst und Gemüse konsumieren. Andere Studien wiederum zeigen einen Trend zu gesünderer Kost. Im deutschen Ernährungsreport gaben 30 % der Menschen über 13 Jahren an, in der Coronazeit häufiger selbst zu kochen und Mahlzeiten eher im Kreis der Familie einzunehmen.
Eine Onlinebefragung ergab, dass in Deutschland 11 % der Raucher während der Zeit der Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit dem Rauchen aufgehört haben. Auf der anderen Seite haben 43 % der Befragten aber mehr geraucht als zuvor. Einen gesteigerten Nikotinkonsum gaben vor allem Menschen mit geringerem Bildungsgrad an sowie die, die von einschneidenden Veränderungen der beruflichen Situation berichteten, wie die Umstellung auf Homeoffice oder eine vorübergehende Beurlaubung.
Mehr Alkohol aus Langeweile getrunken
Eine weltweite Online-Umfrage zum Alkoholkonsum zeigte, dass 44 % der Teilnehmer während der Pandemie mehr Alkohol getrunken haben als zuvor. Als Gründe wurden mehr Zeit zum Trinken sowie Langeweile genannt. Viele Befragte gaben auch an, bereits früher am Tag mit dem Alkoholkonsum anzufangen. Andererseits haben 25 % der Teilnehmer nach eigenen Angaben insgesamt weniger bzw. seltener getrunken, u.a. weil das Treffen mit Menschen an Orten, wo Alkohol in der Regel konsumiert wird, nicht möglich war.
Insgesamt kann man aus diesen ersten Daten ableiten, dass sich die Lockdown-Maßnahmen auf die wichtigen Aspekte des Gesundheitsverhaltens in verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich ausgewirkt haben, fassen die Autoren zusammen. Daher seien weitere Analysen notwendig, z.B. um die Folgen der Eindämmungsmaßnahmen in Abhängigkeit von Faktoren wie dem sozioökonomischen Status oder dem Wohnort zu untersuchen.
Körperliche Bewegung bessert die Immunfunktion
Doch welchen potenziellen Einfluss haben die genannten Verhaltensweisen überhaupt auf die Infektionswahrscheinlichkeit bzw. das Risiko einer schweren Erkrankung? Raucher haben nach der aktuellen Datenlage ein erhöhtes Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf. Chronischer Alkoholmissbrauch ist bekannt als Risikofaktor für das Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS), das gleichzeitig eine der schwersten Komplikationen von COVID-19 darstellt. Ein direkter Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und ARDS bei COVID-19 ist jedoch bislang nicht belegt. Das Gerücht, dass sich das Virus durch Alkoholkonsum abtöten lässt, gehört in die Rubrik „Fake News“, betonen Jordan und Kollegen.
Körperliche Bewegung bessert die Immunfunktion und könnte somit die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus zu infizieren, senken. Eine Studie hat gezeigt, dass körperliche Inaktivität ein höheres Risiko für einen Krankenhausaufenthalt im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion bedeutet. Auch eine gesunde Ernährung stärkt das Immunsystem. Gegebenenfalls protektiv gegen das Virus zu wirken scheint Vitamin D. Studien haben bei COVID-19-Patienten häufiger einen Vitamin-D-Mangel gefunden als in Kontrollgruppen.
Eine Adipositas könnte die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 erhöhen und stellt einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf dar. Das wird v.a. auf mit Übergewicht häufig in Verbindung stehende Komorbiditäten wie Diabetes oder Hypertonie zurückgeführt.
Um das Risiko für schwere Verläufe zu senken, sollte es in der Coronapandemie mehr Präventionsangebote zur Förderung des Gesundheitsverhaltens geben, fordern die Autoren des Reviews. Das gelte insbesondere für Menschen, die durch die derzeitige Situation in schwierige Lebenslagen geraten, sowie für Angehörige besonderer Risikogruppen. Dafür sollten verstärkt der öffentliche Raum (im Freien) und digitale Techniken genutzt werden.
Quelle: Robert Koch-Institut. Jordan S et al. Journal of Health Monitoring 2020; 5 (S8); DOI: 10.25646/7054