Ernährung Spezifische Veränderungen helfen nicht nur bei metabolischen Erkrankungen

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Viele Menschen mit einer stillen Inflammation essen nur wenig Gemüse. Viele Menschen mit einer stillen Inflammation essen nur wenig Gemüse. © nehopelon – stock.adobe.com

Mit Ernährung assoziierte Krankheiten werden häufiger. Sie verursachen nicht nur individuelles Leid, sie führen auch zu hohen Kosten im Gesundheitswesen und belasten die Volkswirtschaft. Ausgehend von der Ursache kann eine Ernährungstherapie sinnvoll sein.

Die westliche Ernährung fördert eine stille Inflammation im Körper. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Zucker, raffinierte Kohlenhydrate und Fleisch zu nennen. Obst, Gemüse, Ballaststoffe, Nüsse, Hülsenfrüchte, Omega-3-Fettsäuren essen wir dagegen zu wenig, schreibt Dr. Matthias­ Riedl­ von der medicum Hamburg MVZ GmbH. Viele Patienten mit einer ausgeprägten stillen Inflammation nehmen wenig bis kein Obst und Gemüse zu sich. 

Die richtige Ernährung könne nicht nur vor Adipositas und dem Rattenschwanz an assoziierten Folgeerkrankungen wie Diabetes, Hypertonie und KHK schützen. Nach Meinung von Dr. Riedel spielt die Ernährungsmedizin bei vielen Erkrankungen eine Rolle. So böte sie u.a. bei Rheuma, Neurodermitis, Depressionen, ADHS und Endometriose die Möglichkeit, einen positiven Einfluss zu nehmen (s. Kasten). Bei manchen Patientinnen mit Endometriose hat sich in der Praxis z.B. der zyklusabhängige Verzicht auf histaminhaltige Nahrungsmittel bewährt. 

Nur 20 % ändern – die aber richtig!

Für eine Ernährungsumstellung empfiehlt der Experte im Gegensatz zu vielen restriktiven Diäten das Pareto-Prinzip. Dabei wird in kleinen, individuell angepassten Schritten möglichst nicht mehr als 20 % verändert. Der Fokus liegt in diesem Zusammenhang auf den wichtigsten in der Analyse festgestellten Ernährungsfehlern. So lasse sich mit geringem Aufwand viel erreichen, ohne den Patienten zu überfordern.

Entzündlich-rheumatische ­Erkrankungen

Patienten mit Autoimmunerkrankungen und entzündlich-rheumatischen Erkrankungen profitieren von einer insgesamt antientzündlichen Ernährung. Eine hochnormale Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren kann bei Autoimmunkranken unter Kontrolle des Omega-Index-Wertes erwogen werden. Dr. Riedel plädiert zudem bei Gelenkproblemen z.B. im Rahmen einer Arthrose dafür, den operativen Eingriffen eine konservative Übungsbehandlung kombiniert mit einer Ernährungstherapie (ggf. Gewichtsreduktion) voranzustellen. 

Von der Arachidonsäure (eine Omega-6-Fettsäure) weiß man, dass sie Gelenkentzündungen begünstigen kann – sie ist v.a. in tierischen Lebensmitteln (Fleisch, Fisch, Ei), aber auch in manchen Back- und Süßwaren enthalten. Angestrebt werden sollte ein Verhältnis der Omega-6-/Omega-3-Fettsäuren von etwa 5:1. Aktuell liegt es im Durchschnitt aber deutlich höher (20:1). Eine antiinflammatorische Ernährung wäre auch bei anderen Erkrankungen mit entzündlicher Komponente (Post-COVID, Colitis ulcerosa, Uveitis, Multiple Sklerose) sinnvoll, so Dr. Riedel. Sie kann außerdem Parodontitiden vorbeugen, die wiederum eine rheumatoide Arthritis begünstigen.  

Neurodermitis und Allergie

Bei manchen Atopikern werden Krankheitsschübe durch Lebensmittel oder Zusatzstoffe getriggert. Über ein Ernährungstagebuch sowie eine Auslassdiät, in deren Rahmen potenzielle Auslöser nach und nach integriert werden, kommt man vielen auf die Spur. Meist handelt es sich um Nahrungsmittel mit bekannter entzündungsfördernder Wirkung bzw. bekanntem Allergenpotenzial (Weizen, Kuhmilchprodukte, Schweinefleisch, Nüsse, Produkte mit vielen Zusatzstoffen, Zitrusfrüchte, scharfe Gewürze). 

Was die Patienten dagegen eher vertragen, sind (Pseudo-)Getreidesorten wie Hirse, Hafer, Dinkel, Buchweizen, Quinoa, Amarant sowie Reis, Mais und Kartoffeln. Als Süßigkeiten und Snacks können Betroffene z.B. auf Trockenfrüchte, Reiswaffeln, Selbstgebackenes (in Maßen) oder süße Obstsorten wie Banane, Heidelbeere, Mango und Wassermelone zurückgreifen. Auch auf Nussiges müssen diese Patienten nicht immer komplett verzichten, denn Mandel-, Cashew-, Pinien-, Kürbis-, und Sonnenblumenkerne werden von vielen vertragen. Omega-3-Fettsäuren sowie Gamma-Linolensäure (z.B. in Hanföl) leisten über ihre antiinflammatorischen Eigenschaften ebenfalls einen Beitrag.

Depression

Es gibt die Hypothese, dass depressive Zustände mit einer stillen Inflammation im Gehirn assoziiert sind, schreibt Dr. Riedl. So könnte man erklären, dass eine anti­entzündliche Ernährung das Ausmaß einer Depression um bis zu ein Drittel lindern kann. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Omega-3-Fettsäuren (z.B. aus Leinsamen, Walnuss, Avocado) und Polyphenole einen antidepressiven Einfluss haben. Eine kanadische Leitlinie empfiehlt eine Substitution mit Omega-3-Fettsäuren bei Patienten mit Major Depression und erhöhten Inflammationsparametern und bipolaren Depressionen, wenn die Spiegel niedrig sind. Auch bei postpartalen Depressionen zeigte die Omega-3-Substitution einen Effekt.

ADHS

Im Falle von ADHS werden Zusammenhänge zwischen immunologischen Prozessen, Allergien, Unverträglichkeiten und dem intestinalen Mikrobiom als mögliche Faktoren diskutiert. Entsprechend könnten Nahrungsmittel mit hohem allergenem Potenzial die Symptomatik negativ beeinflussen. Für Kinder mit ADHS empfohlen werden daher frisches Obst und Gemüse, glutenfreies Getreide und Kartoffeln. Problematisch dagegen scheinen Farb- und Süßstoffe zu sein sowie Lebensmittel, die häufig Unverträglichkeiten auslösen (Milch, Ei, Soja und Nüsse). Süßen kann man in Maßen z.B. mit Honig oder Ahornsirup. Mittels einer Auslassdiät sollte eine individuell förderliche Ernährung ermittelt werden. Mit ernährungstherapeutischen Maßnahmen konnte in Untersuchungen eine Symptomverbesserung um 50 % erreicht werden, fügt Dr. Riedl hinzu. 

Typ-2-Diabetes und Übergewicht

Der Typ-2-Diabetes gilt als Paradebeispiel dafür, dass sich v.a. im frühen Stadium durch eine Umstellung der Ernährung und Reduktion des Gewichts viel erreichen lässt –inkl. Remission. Diese Aussicht kann Patienten extrem motivieren, betont der Experte. Wichtig ist u.a. eine eiweißreiche Ernährung, kombiniert mit mehrstündigen Mahlzeitenpausen und ausreichend Bewegung: Das Eiweiß sättigt und fördert den ­Muskelaufbau. 

Problematisch ist für unsere Gesellschaft vor allem der viel zu hohe Konsum von Kohlenhydraten. Eine fettreiche Ernährung über gesunde Fette, z.B. aus Olivenöl oder Nüssen muss dagegen nicht unbedingt schlecht sein. Sie kann kardiovaskulären Erkrankungen vorbeugen und das Diabetesrisiko senken.

Quelle: Riedl M. Hamburger Ärzteblatt 2023; 3: 12-17