Forschung Stephan Herzig erforscht, wie das metabolische Syndrom und Krebs zusammenhängen
Wer sich mit dem menschlichen Stoffwechsel beschäftigt, hat nicht nur ein isoliertes Organ im Blick, sondern den ganzen Körper. Genau das findet Professor Dr. Stephan Herzig so reizvoll an seinem Forschungszweig: „Wir erkunden nicht nur die Vorgänge in der Leber, im Fettgewebe und im Pankreas, sondern auch die Kommunikation dieser Systeme untereinander“, erklärt der wissenschaftliche Leiter des Helmholtz Diabetes Center und Forschungsdirektor von Helmholtz Munich, wo er auch das Institut für Diabetes und Krebs leitet.
Einen Schlüsselmoment, der die Richtung seiner Forschungskarriere vorgab, erlebte der Biologe bei Laborexperimenten im Rahmen einer Postdoc-Stelle, die er nach seiner Doktorarbeit in den USA angetreten hatte. Hier gelang es ihm, durch Manipulation eines Genschalters bei diabetischen Mäusen deren Blutzuckerstoffwechsel wieder zu normalisieren: „Ich fand diesen Schalter, der die Aktivität bestimmter Stoffwechselfunktionen reaktivieren kann, sehr bemerkenswert“, erzählt Prof. Herzig. „Seitdem bin ich quasi unentwegt auf der Suche nach dem ‚magischen Schalter‘, mit dem sich Stoffwechselprobleme wieder rückgängig machen lassen.“
Besonders fasziniert ist er dabei von den Zusammenhängen zwischen metabolischer Dysfunktion und der Entstehung bzw. dem Voranschreiten von Krebs. Denn die ungünstige Stoffwechsellage, wie sie bei Diabetes und Adipositas vorherrscht, regt das Zellwachstum an und kann die Entstehung von Krebs begünstigen. „Eine gesunde Körperzelle wird nicht durch einen Diabetes zur Krebszelle“, betont Prof. Herzig, „doch im Körper eines jeden Menschen sammeln sich ja täglich diverse Zellmutationen an. Und diese geschädigten Zellen entarten bei Diabetes und Adipositas schneller als in einem gesunden Stoffwechselmilieu.“
Hyperinsulinämie ist einer der elementaren Faktoren
Obgleich der exakte Mechanismus noch längst nicht für jeden Tumor entschlüsselt ist, haben Prof. Herzig und seine Kolleg*innen drei Faktoren identifiziert, die im Zusammenspiel von Diabetes und Krebs eine zentrale Rolle spielen. Einer davon ist die als Folge der Insulinresistenz entstehende Hyperinsulinämie: „Insulin reguliert ja nicht nur den Blutzucker, sondern fördert außerdem das Zellwachstum – auch bei Krebszellen unterschiedlicher Karzinome wie z.B. postmenopausaler Brustkrebs, gastrointestinale Tumoren, Gebärmutter- oder Nierenkrebs.“
Einen ganz ähnlichen Effekt haben Adipokine, und hier insbesondere das appetitregulierende Leptin. Bei Übergewicht, das in der Regel mit großen Mengen von hormonaktivem Fettgewebe einhergeht, sind die Leptinspiegel hoch und können Wachstumssignale an Krebszellen senden. „Die Tumorzellen ändern dann ihr Verhalten, werden aggressiver und metastasieren schneller“, so der Forscher. Der dritte elementare Faktor ist die chronische Entzündung, die insbesondere durch im viszeralen Fettgewebe freigesetzte Mediatoren und Hormone ausgelöst wird. „Auch entzündetes Gewebe bietet für Krebszellen optimale Wachstumsbedingungen.“
Bei der Prävention sollte man sich in seinen Augen daher auf die Vermeidung von Übergewicht durch Anpassung des Lebensstils konzentrieren. „Wir wollen die Erkenntnis unter die Menschen bringen, dass alles, was wir tun, um schlank zu bleiben, nicht nur einem Typ-2-Diabetes vorbeugt, sondern auch Krebs.“ Besonders gut kann das offenbar mit Intervallfasten gelingen: Mittlerweile belegen eine Reihe von Studien, dass man mit intermittierendem Fasten Glukosespiegel, Blutdruck, Insulinresistenz, Leber- und Bauchfett sowie die Nierenfunktion positiv beeinflussen kann – selbst wenn der Gewichtsverlust nur marginal ist.
Natürlich ist Prof. Herzig bewusst, dass unsere moderne Zivilisation es Menschen sehr schwer macht, ihren Lebensstil nachhaltig zu verändern. Deshalb setzt er auch große Hoffnungen auf Medikamente, die den Hungerstoffwechsel imitieren und auf diese Weise die metabolischen Parameter verbessern: „Mit den neuen dualen GLP1- und GIP-Agonisten lassen sich beinahe so gute Effekte erzielen wie mit bariatrischer Operation – ganz ohne die Risiken eines chirurgischen Eingriffs.“
Ein weiteres Spezialgebiet von Prof. Herzig ist die Erforschung der Tumorkachexie: „Hierbei nimmt der Tumor Einfluss auf den Stoffwechsel und zehrt den Körper im Verlauf der Zeit auf – wir beobachten also quasi den gegenteiligen Effekt von Übergewicht.“ Gelänge es, auch diese Prozesse besser zu verstehen, bestünde die Chance, auch Substanzen gegen Tumorkachexie zu entwickeln.
Intensiver Austausch über die Fachgrenzen hinweg
Die treibende Kraft hinter Prof. Herzigs Forschungsdrang ist der Wunsch, Menschen vor den Langzeitfolgen von Stoffwechselerkrankungen zu bewahren. Doch der Leiter des DZD-Forschungsschwerpunktes Folgeerkrankungen schätzt an seiner Arbeit noch etwas anderes: „In der Grundlagenforschung arbeitet man nicht nur in der eigenen Fachrichtung, sondern befindet sich in intensivem Austausch mit anderen Fach- und Berufsgruppen.“ Dazu zählen z.B. auch Radiolog*innen, die mit bildgebenden Verfahren unterstützen, oder Chemiker*innen, die an der Pharmakokinetik neuer Substanzen tüfteln.
Der Werner-Creutzfeldt-Preis war nicht der erste Forschungspreis, den Prof. Herzig gewonnen hat – und es wird vermutlich nicht der letzte sein …