Metabolisches Syndrom Von der Insulinresistenz zum Tumor
Das metabolische Syndrom – also die Kombination aus gestörtem Kohlenhydratstoffwechsel, Hypertonie, Dyslipoproteinämie und Adipositas – erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung: Die Krebsmortalität der Patienten ist mehr als verdoppelt; je mehr Komponenten des Syndroms vorliegen, desto höher das Risiko. Vor allem gastrointestinale Malignome treten bei den Betroffenen gehäuft auf, aber auch Schilddrüsen-, Zervix- und Endometriumkarzinome, Brustkrebs, Nierenzell- und Prostatatumoren. In den vergangenen Jahrzehnten haben Übergewicht und Prädiabetes in allen Altersgruppen stark zugenommen, schreibt Prof. Dr. Hans Scherübl vom Vivantes Klinikum Am Urban in Berlin. Daher sei auch ein besorgniserregender Anstieg von Krebserkrankungen bei jungen Erwachsenen mit metabolischem Syndrom zu verzeichnen.
An der Tumorgenese unter Einfluss des metabolischen Syndroms sind mehrere Mechanismen beteiligt:
- chronische Entzündungsreaktionen
- Dyslipidämie
- Hyperglykämie
- Insulinresistenz und Hyperinsulinismus
Dem Insulin kommt bei der Tumorentstehung eine besondere Bedeutung zu, wie Prof. Scherübl erläutert. Denn das Peptidhormon vermag die Bioverfügbarkeit des Wachstumsfaktors IGF-1* zu erhöhen und so die proliferationsfördernden Signalwege in den malignen Zellen zu aktivieren. Dabei scheinen die Krebszellen die Fähigkeit, ihre Insulinrezeptoren und die beteiligten Signalwege herunterzuregulieren, zu verlieren.
Änderung des Lebensstils kann das Risiko senken
Auch Veränderungen im Metabolismus von Geschlechtshormonen und Adipokinen sowie oxidativer Stress spielen eine Rolle in der Tumorgenese. Eine langfristige Remission des metabolischen Syndroms durch Lebensstiländerung oder durch einen bariatrischen Eingriff kann das Krebsrisiko um bis zu 60 % senken.
Insgesamt haben die altersstandardisierten Neuerkrankungen beim kolorektalen Karzinom in den letzten Jahren deutschlandweit abgenommen. Bei Personen im Alter über 50 Jahren ist zudem die Darmkrebsmortalität gesunken. Allerdings erkranken immer mehr jüngere Erwachsene, berichtet der Autor. So stieg zwischen 2004 und 2016 europaweit die Inzidenz für Darmkrebs bei den 40- bis 49-Jährigen um 1,6 % pro Jahr an, bei den 30- bis 39-Jährigen um 4,9 % und bei den 20- bis 29-Jährigen um 7,9 %. Wesentliche Ursache für die Zunahme dürfte die gestiegene Prävalenz des metabolischen Syndroms bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sein.
Unterm Strich verdoppelt das Insulinresistenzsyndrom das Risiko für kolorektale Tumoren. Und wenn jemand mit metabolischem Syndrom an Darmkrebs erkrankt, ist seine krankheitsbezogene Überlebensprognose schlechter als die eines stoffwechselgesunden Menschen. Patienten mit dem metabolischen Syndrom sollte deshalb auch hierzulande ein früherer Beginn der Darmkrebsvorsorge empfohlen werden, meint Prof. Scherübl – also ein Start der Untersuchungen bereits im Alter von 45 Jahren, wie es in den US-amerikanischen Empfehlungen festgelegt ist.
Wirken Statine gegen hepatische Morbidität?
Das metabolische Syndrom verdoppelt auch das Risiko für hepatozelluläre Karzinome (HCC). Sowohl das HCC als auch die diesem vorausgehende Fettlebererkrankung sind in den letzten Jahrzehnten deutlich häufiger geworden. Eine gesunde Ernährung und interessanterweise eine Therapie mit Statinen oder Metformin können einer Leberzirrhose und dem Leberzellkrebs vorbeugen. Und wenn adipöse Patienten mit nicht-alkoholischer Steatohepatitis durch einen bariatrischen Eingriff ihr Gewicht dauerhaft reduzieren, verringert sich ihr HCC-Risiko um mehr als 50 %, schreibt der Gastroenterologe.
Frauen mit metabolischem Syndrom haben ein nahezu verdoppeltes Risiko, postmenopausal an Brusttumoren zu erkranken. Bei diesen Patientinnen kommen zudem vermehrt aggressivere Brustkrebsformen mit schlechterer Prognose für das Überleben vor.
Auch die gestiegene Zahl an Endometriumkarzinomen bei Frauen unter 50 hat wohl mit der hohen Prävalenz des metabolischen Syndroms bei Kindern, Heranwachsenden und Erwachsenen zu tun, führt Prof. Scherübl weiter aus. Eine Gewichtsreduktion kann das Risiko für die Uteruskarzinome bei adipösen Frauen um 40 bis 50 % mindern.
* Insulin-like growth factor 1
Quelle: Scherübl H. Dtsch Med Wochenschr 2022; 147: 1068-1076; DOI: 10.1055/a-1868-9164