Müde am Lebensabend Suizidalität im hohen Alter auf den Grund gehen

Autor: Maria Weiß

Depressionen führen bei über 75-Jährigen häufiger zum Suizid als bei Jüngeren.. Depressionen führen bei über 75-Jährigen häufiger zum Suizid als bei Jüngeren.. © De Visu – stock.adobe.com

Das größte Suizidrisiko besteht im fortgeschrittenen Alter. Depressionen werden bei älteren Menschen aber oft nicht erkannt oder als normal abgetan. Dabei ist Suizidprävention auch bei über 75-Jährigen ein wichtiges Thema.

„Er wollte einfach nicht mehr“ – das sollte auch im hohen Alter als Begründung für einen Suizid nicht ohne Weiteres akzeptiert werden, schreibt Prof. Dr. Elmar Etzersdorfer vom Furtbachkrankenhaus Stuttgart. Bei jüngeren Menschen seien sich alle einig, dass Selbsttötungen tragisch sind und verhütet werden müssen. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber Suizidalität am Lebensabend sei weniger eindeutig. Die Prävention ist auch dann noch von Bedeutung, stellt Prof. Etzersdorfer heraus. Das werde nicht zuletzt im Nationalen Suizidpräventionsprogramm so gefordert.

Tatsächlich weisen Ältere die höchsten Suizidraten auf, wie Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigen. Bei Männern erfolgten 53 % aller Suizide in einem Alter von über 60 Jahren, bei Frauen lag dieser Anteil bei 56 %. Vor allem bei den Männern ist nach dem 75. Geburtstag noch einmal ein steiler Anstieg zu verzeichnen. In der Altersgruppe der über 90-Jährigen nahmen sich 112,1 von 100.000 Männern das Leben, in der Gesamtbevölkerung betrug die Rate nur 12,1.

Körperliche Erkrankungen als mögliche Ursache

Im Alter kommen viele Einzelfaktoren zusammen. Neben lebensgeschichtlichen Erfahrungen, der Persönlichkeit und der Erfahrung von Hilfsbedürftigkeit spielen auch körperliche, körperlich einschränkende und chronische Erkrankungen sowie altersbedingte Einschränkungen eine Rolle. Vor allem bei Schmerzsyndromen und psychischen Beeinträchtigungen ist die adäquate Behandlung unerlässlich.

Die Demenz ist das einzige psychische Krankheitsbild, das im fortgeschrittenen Stadium nicht mit einem erhöhten Suizidrisiko einhergeht, erklärt der Autor. Allerdings kann das Risiko im Anfangsstadium zunächst erhöht sein, wenn erste kognitive Defizite auftreten und die berechtigte Sorge vor einem Fortschreiten der Erkrankung besteht. Später sorgt der fortschreitende Ich-Zerfall dafür, dass die Patienten ihre eigene Situation nicht mehr erkennen.

Auch Depressionen tragen wesentlich zur Suizidalität älterer Menschen bei. Diese Erkrankung ist bei über 75-Jährigen mit einer Prävalenz von 4,6 bis 9,3 % weit verbreitet und führt häufiger zu einem Suizid als bei jüngeren Menschen.

Neben der Behandlung individueller Risikofaktoren gibt es einige universelle Maßnahmen zur Suizidprävention bei Senioren. Dazu gehören eine verbesserte Aufklärung über depressive Störungen im Alter sowie spezifische Weiterbildungen für Fachpersonal. Allgemein würde auch eine verstärkte Wertschätzung älterer Menschen weiterhelfen, so Prof. Etzersdorfer – es gelte, Potenziale zu erkennen und sinnstiftende Tätigkeiten anzubieten. In der Sozial- und Altenhilfepolitik sollten frühzeitig präventive Strategien zum Krisenmanagement entwickelt werden.

Oft werde bei Älteren die Suizidalität überhaupt nicht kritisch hinterfragt, sondern ihre Gründe als vordergründig sachlich akzeptiert. Dieses vorschnelle „Verständnis“ spielt auch bei der Debatte um die Suizidassistenz eine Rolle. Nach Meinung des Autors ist zu befürchten, dass angesichts von Engpässen in Gesundheits- und Altenpflegesystemen der Druck auf ältere Menschen steigt, der Gesellschaft oder ihren Angehörigen nicht „zur Last zu fallen“. Ein offenes, wertschätzendes und ergebnisoffenes Gespräch könne einen ersten Zugang bieten.

Quelle: Etzersdorfer E. Z Gerontol Geriatr 2024; 57: 186-191; DOI: 10.1007/s00391-024-02303-6


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