Elektrokrampftherapie Schocken gegen Depression, Wahn und Suizidalität

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Früher erfolgte die Elektrokrampftherapie ohne medikamentöse Muskelentspannung. Es kam zu Verletzungen. Früher erfolgte die Elektrokrampftherapie ohne medikamentöse Muskelentspannung. Es kam zu Verletzungen. © Science Photo Library/England, Thomas S.

Die Elektrokonvulsionstherapie ist eine wichtige Behandlungsoption für schwere psychiatrische Krankheiten – insbesondere dann, wenn nichts anderes hilft oder wenn schnelles Handeln geboten ist. Der technische Fortschritt hat die Nebenwirkungen erheblich verringert.

Haupteinsatzgebiet der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist die Behandlung von schweren Depressionen, bipolaren Störungen oder Schizophrenie. In der Regel greift man zu dieser Maßnahme, wenn wiederholte Behandlungsversuche mit Medikamenten und Psychotherapie keine ausreichende Besserung gebracht haben. In lebensbedrohlichen Situationen kann die EKT auch primär zum Einsatz kommen, etwa bei Suizidalität, Psychosen und schwerwiegenden Komplikationen wie Dehydratation, Unterernährung oder Katatonie.

Bei dem Verfahren, das auch als Elektrokrampftherapie bezeichnet wird, werden kurze elektrische Impulse über Elektroden an die Kopfhaut und das Gehirn gegeben, was einen generalisierten Krampfanfall von 20 bis 60 Sekunden Dauer auslöst. Die Behandlung erfolgt unter Kurznarkose (< 10 Minuten) und medikamentöser Muskelentspannung. Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Herzfrequenz und -rhythmus werden dabei kontinuierlich überwacht.

Für gewöhnlich wird die EKT über einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen sechs- bis zwölfmal angewandt. Es gibt keine festgelegten Unter- oder Obergrenze für die Wiederholungen.

Erhaltungstherapie über Jahre möglich

Vielmehr wird die Therapie bis zum ausreichenden Ansprechen fortgeführt oder bis unerwünschte Nebenwirkungen den weiteren Einsatz einschränken. Es folgt eine Phase, in der die Abstände zwischen den einzelnen Terminen mehr und mehr verlängert werden. Ziel ist, die Remission mit so wenigen Behandlungen wie möglich zu sichern. Diese Erhaltungstherapie kann sich über Monate bis Jahre erstrecken.

Studien haben gezeigt, dass eine EKT das Suizidrisiko verringern sowie Alltagsfunktionalität und Lebensqualität signifikant bessern kann. Bei Personen mit behandlungsresistenter schwerer Depression wurden Ansprech- und Remissionsraten von 60–80 % bzw. 50–60 % ermittelt. Auch bei behandlungsresistenter Schizophrenie erwies sich das Verfahren als wirksam: In einer unkontrollierten Studie, in der die EKT mit ­Clozapin kombiniert wurde, zeigte die Hälfte der Betroffenen einen Rückgang der Symptomlast um 40 % und mehr.

Zur Wirkungsweise der EKT ist noch recht wenig bekannt. Hinweise auf die zugrunde liegenden Mechanismen geben Studien, in denen Neurotransmitter und Änderungen der Gehirnstruktur analysiert wurden. Bildgebende Untersuchungen bei Patienten mit Depressionen haben gezeigt, dass das Volumen der grauen Substanz im limbischen System, insbesondere im Hippocampus und in der Amygdala, nach der Behandlung größer ist als zuvor. Weiterhin ließ sich ein Zusammenhang mit einer erhöhten Integrität der Nervenbahnen im Frontal- und Temporallappen feststellen.

Anstieg der Neurotransmitter und verstärkte Neurogenese

Ganz offensichtlich führt die EKT zu einem Anstieg der monoaminergen Neurotransmitter, zur Normalisierung der Cortisolreaktion auf Dexamethason und zu verstärkter Neurogenese im ­Gyrus ­dentatus.

Die geschätzte Sterblichkeit infolge der Behandlung liegt bei 2,1 Todesfällen pro 100.000 Behandlungen. Häufigste Komplikationen sind akute kardiopulmonale Ereignisse, die bei weniger als 1 % der Sitzungen auftreten. Für alle Patienten ist eine internistische, neurologische und anästhesiologische Voruntersuchung angezeigt. Kranke mit erhöhtem Risiko für Herzerkrankungen sollten sich zudem dem Kardiologen vorstellen.

Selten Apnoe und Lähmungen als Nebenwirkungen

Zu den seltenen schwerwiegenden Nebenwirkungen der EKT gehören Herzrhythmusstörungen, Atemnot und anhaltende Apnoe, Aspiration, prolongierte Lähmungserscheinungen und fortdauernde Krampfanfälle. Häufiger, aber meist geringfügiger sind Kopf- und Kieferschmerzen, Myalgien sowie Übelkeit, Erbrechen und Erschöpfung nach dem Eingriff. Diese Beschwerden verschwinden in der Regel von alleine und erfordern allenfalls eine symptomatische Behandlung.

Die Folgen für die Kognition variieren je nach Patient und Verfahren. Anterograde Amnesien klingen in der Regel nach zwei bis vier Wochen ab, retrograde Amnesie können in Einzelfällen ein Jahr oder länger anhalten. In seltenen Fällen muss die Behandlung aufgrund eines akuten Verwirrtheitszustandes oder Deliriums pausiert oder beendet werden. Bei vielen Patienten mit schwerer Depression bessert sich durch Abklingen der Erkrankung auch die Kognitionsleistung.

Quelle: Espinoza RT, Kellner CH. N Engl J Med 2022; 386: 667-672; DOI: 10.1056/NEJMra2034954.


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