Kletterverletzungen Überlastete Finger, Arme und Schultern
Zu schweren Unfällen kommt es beim Klettern nur selten. Dank guter Absicherungen in Kletterhallen und -gärten gehen Stürze meist glimpflich aus. Die Verletzungsrate liegt bei etwa 0,02 pro 1.000 Kletterstunden – die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher sein. „Am häufigsten treten Überlastungsverletzungen auf, insbesondere an den Fingern, Armen und Schultern“, so Professor Dr. Volker Schöffel von der Sportorthopädie am Klinikum Bamberg. Sehr spezifisch für das Klettern seien beispielsweise Verletzungen der Ringbänder in den Fingern.
Viele Schäden entstehen durch eine falsche Klettertechnik
Allerdings scheint sich an der Art der Blessuren aktuell etwas zu ändern. „Wir beobachten zunehmend Beschwerden im unteren Rücken, die wir vor zehn Jahren noch kaum gesehen haben“, stellt Dr. Andreas Vantorre fest. Auch Knie- und Sprunggelenksverletzungen kämen hin und wieder vor. Mögliche Ursachen für den Wandel sieht der Sportmediziner und Klettertrainer in der Kombination aus falscher Technik, mangelnder Körperspannung und schlecht geschraubten Routen. So passiere es, dass Kletterer den Fuß zu hoch aufsetzen und versuchen, sich mittels Armkraft nach oben zu ziehen. Dies biege und drehe die Wirbelsäule über die Maßen und belaste Schultern, Ellbogen und Finger, erläutert Dr. Vantorre.
Wichtig wäre ein Ausgleichstraining, das auf kletterspezifische Belastungen abzielt. Gemeinsam mit anderen Experten hat Prof. Schöffel das sogenannte Adjunct Compensatory Training for Rock Climbers (ACT) entwickelt. Es kann das Bewegungsausmaß verbessern und lang anhaltende Schmerzen bei Impingement und Überlastung der Supraspinatussehne mindern. Vorsichtig sollten zudem Kinder sein. So ist Fingerkraft-Training (z.B. am Campusboard) für junge Kletterer nicht zu empfehlen und erhöht das Arthroserisiko.
Problematisch ist, dass Kletterer an ihren Verletzungen häufig auf eigene Faust herumdoktern. „Bis zum Arztbesuch vergehen nach unseren Erhebungen oft über 100 Tage“, weiß Prof. Schöffel. Den meisten Ärzten fehle die Erfahrung mit Kletterverletzungen. So seien beispielsweise Schäden an den Ringbändern im MRT besser in gebeugter Handstellung gegen Widerstand zu beurteilen als in der üblichen gestreckten Position, erklärt Dr. Vantorre.
Vielen Kollegen mangele es an Verständnis für die Kletterleidenschaft. Würden Betroffene gefragt, ob sie denn wirklich klettern müssten, sei das Vertrauen zum Arzt schnell dahin. Prof. Schöffel appelliert: „Spätestens seit Klettern olympisch ist, sollten auch Ärzte eine Vorstellung von dem Sport haben.“
Quelle: Hutterer C. DZSM – Dossier der Sportmedizin 2021; 72: D1-D3