Ischämie ohne obstruktive Koronarien Unterscheidung zwischen makro- und mikrovaskulärer Dysfunktion ist therapiebestimmend
Die Ischämie ohne obstruktive Koronarien, kurz INOCA, ist u.a. gekennzeichnet durch pektanginöse Beschwerden sowie das Fehlen relevanter Stenosen ≥ 50 % in der Angiographie. Häufig erhalten Betroffene weder eine Erklärung für ihre Symptome noch eine adäquate Therapie, schreiben Prof. Dr. John Beltrame, Queen Elizabeth Hospital in Adalaide und Kollegen. In einem aktuellen Review weisen die Experten einen besseren Weg für den Umgang mit der Erkrankung auf.
Risiko für MACE und Hospitalisierungen erhöht
Etwa jeder Zweite mit INOCA leidet unter rezidivierenden Brustschmerzepisoden. Diese Rate entspricht der von Patienten mit obstruktiver KHK. Aus kleineren Studien geht hervor, dass das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) und Krankenhausaufnahmen erhöht ist. Es gibt also Grund genug, sowohl kardioprotektive Therapien einzusetzen als auch Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Zunächst müssen jedoch nicht-ischämische Ursachen für die Brustschmerzen ausgeschlossen werden – idealerweise vor einer invasiven Koronarangiographie, betonen die Autoren. Zu den Ursachen zählen gastroösophagealer Reflux, muskuloskelettale Leiden (z.B. Kostochondritis) sowie Klappenerkrankungen und Myokarditiden. Eine sorgfältige Anamnese kann schon vieles klären. Mitunter braucht man zusätzliche Diagnostik wie Endoskopie, Ösophagusmanometrie, Oberbauchsonographie oder Herzecho.
Des Weiteren sollten Surrogatparameter der myokardialen Ischämie eruiert werden:
- charakteristische Angina pectoris bei Belastung oder in Ruhe
- ischämietypische EKG-Veränderungen
- beeinträchtigte Myokardperfusion in der Stress-Bildgebung
- stressinduzierte Wandbewegungsstörungen
- verminderte koronare Flussreserve
Sofern einer dieser Befunde erhoben wird, darf man – bei unauffälliger Herzkatheteruntersuchung – die Diagnose INOCA stellen.
Pathophyiologisch kommen Koronarspasmen, mikrovaskuläre Dysfunktion oder ein erhöhter Sauerstoffbedarf (z.B. bei Tachykardie) in Betracht. Gut klären lässt sich der zugrunde liegende Mechanismus erst durch weiterführende Tests wie eine funktionelle Koronarangiographie inkl. intrakoronarer Acetylcholinprovokation, so die Experten.
Die Unterscheidung zwischen makro- und mikrovaskulärer Dysfunktion hat therapeutische Implikationen, weshalb man um die funktionelle Untersuchung kaum herumkommt. Charakteristisch für die makrovaskuläre Störung, die inzwischen vermehrt als vasospastische Angina bezeichnet wird, sind zudem Ruheangina und transiente EKG-Veränderungen wie ST-Hebungen, die rasch auf Nitrate ansprechen. Mikrovaskulär bedingte Beschwerden reagieren aufgrund ihrer komplexeren Pathophysiologie unterschiedlich auf Nitrate (s. Tabelle).
Koronare mikrovaskuläre Störungen | ||||
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kardiales Syndrom X | mikrovaskuläre Angina | Slow-Flow-Phänomen | mikrovaskuläre Spasmen | |
mutmaßlicher Mechanismus | eingeschränkte Vasodilatation | eingeschränkte Vasodilatation | Erhöhter Gefäßwiderstand | Gefäßspasmen |
Merkmale | Belastungsangina, betrifft v.a. Frauen, begrenztes Ansprechen auf Nitrate, pathologisches Stress-EKG | oft Ruheangina, betrifft v.a. Frauen, begrenztes Ansprechen auf Nitrate, reduzierte koronare Flussreserve | instabile Angina, Risikofaktor Rauchen, variables Ansprechen auf Nitrate, verzögerte KM-Anflutung in der Angiographie | instabile Angina, betrifft v.a. Frauen, variables Ansprechen auf Nitrate, bei Acetylcholinprovokation: Schmerzen und Ischämie-EKG, aber keine epikardialen Koronarspasmen |
Insbesondere die vasospastische Angina geht mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher. Betroffene können einen akuten Myokardinfarkt oder sogar einen plötzlichen Herztod erleiden. Kalziumkanalblocker sind die Schlüsselmedikamente, um das MACE-Risiko zu senken.
Dauerhafte Nitrateinnahme neuerdings infrage gestellt
Bei mikrovaskulären koronaren Erkrankungen ist die Gefahr schwerer Ereignisse weniger stark und heterogen ausgeprägt. Zur Kardioprotektion gibt es noch keine gesicherten Therapieansätze, Statine und ACE-Hemmer werden in Leitlinien gemeinhin empfohlen.
Neben der Prognose verbessern Calciumantagonisten die Beschwerden von Patienten mit vasospastischer Angina. Auch lang wirksame Nitrate helfen symptomatisch. Allerdings wird der Nutzen einer dauerhaften Einnahme neuerdings infrage gestellt, da sie über Entwicklung einer Nitrattoleranz kardiovaskuläre Ereignisse provozieren könnten. Substanzen wie Nicorandil und der Phosphodiesterase-3-Hemmer Cilostazol haben in klinischen Studien positive Effekte gezeigt. Auf Betablocker und Sympathomimetika sollte man dagegen verzichten, da sie spastische Episoden triggern können.
Die antianginöse Behandlung der mikrovaskulären Dysfunktion gestaltet sich komplexer und es gibt keine klare Erstlinientherapie. Je nach Ischämietyp, Anginamuster und Begleiterkrankungen kommen u.a. in Betracht: Nitrate, Betablocker, Calciumantagonisten, Kaliumkanalöffner, Rho-Kinase-Inhibitoren, If-Kanal-Hemmer. Da diese Substanzen über verschiedene Mechanismen antiischämisch wirken, werden sie nicht selten kombiniert.
Körperliches Training und Rehabilitationsmaßnahmen haben sich als nicht-medikamentöse Ansätze bei INOCA als wirksam erwiesen. Grundsätzlich sollten Patienten Ischämie-Auslöser wie Rauchen (v.a. bei makrovaskulärer Dysfunktion) und Stress meiden. Aufgrund fluktuierender Symptome raten die Autoren zur regelmäßigen Überprüfung des Gesundheitsstatus.
Behandlungsansätze in der Pipeline
- Ticagrelor zur antianginösen Therapie speziell bei Slow-Flow-Phänomen
- Effekt eines Endothelin-Rezeptorblockers auf Symptome und Belastbarkeit
- Rosenwurz (Rhodiola rosea) zur Verbesserung von Beschwerden und koronarer Flussreserve
- Effekt der intrakoronaren Applikation von autologen Stammzellen auf koronare Flussreserve und Angina-Frequenz
- Implantation eines Koronarsinus-Reducers (Reduktion des mikrovaskulären Gefäßwiderstands) zur symptomatischen Behandlung
Quelle: Beltrame JF et al. BMJ 2021; 375:e060602; DOI: 10.1136/bmj-2021-060602