Restharn Urologe räumt mit verbreiteten Fehlannahmen auf

Autor: Birgit Maronde

Die maxi­male Blasenkapazität beträgt bei Erwachsenen je nach Körpergröße 900 bis 1500 ml.
Die maxi­male Blasenkapazität beträgt bei Erwachsenen je nach Körpergröße 900 bis 1500 ml. © Ilnaz Gilov – stock.adobe.com

Manche „Erkenntnisse“ halten sich in der Medizin hartnäckig, selbst wenn sie schon längst durch Studien widerlegt sind. Auch um den Restharn kursieren schier unausrottbare Mythen.

Mythos 1: Restharn sorgt vermehrt für Harnwegsinfekte 

Falsch, sagte Prof. Dr. ­Andreas ­Gross von der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg. „Warum sollte Restharn Harnwegsinfek­tionen verursachen? Ich weiß nicht, wie das in die Urologie gekommen ist.“ Nicht jeder Keimnachweis im Urin bedeutet automatisch Infektion, außerem fehlt jeglicher Beleg dafür, dass Harnwegsinfekte mit Restharn und/oder einer Blasenauslassob­struktion assoziiert sind. Das gilt auch bei Diabetikern und geriatrischen Patienten, betonte der Kollege.

Die Menge des Restharns spielt ebenfalls keine Rolle für das Infektionsrisiko. Prof. Gross hat als Assistenzarzt noch gelernt, dass ein Restharn von 50 ml operiert werden muss: „Das darf man gar nicht mehr erzählen.“ Er berichtete von einem Patienten, der in der zehnten Lebensdekade mit 2 l Restharn „glücklich gestorben“ ist. Was aber feststeht: Liegt eine Harnwegs­infektion vor und besteht gleichzeitig Restharn, ist es schwieriger, den Infekt zu sanieren.

Mythos 2: Restharn verursacht Funktionsstörungen der Niere

Nein! Ein Nierenstau kommt bei Prostatapatienten mit Restharn nach Erfahrung von Prof. Gross extrem selten vor. Damit Restharn für die Niere gefährlich wird, müssen rezidivierende, gegebenenfalls aufsteigende Harnwegsinfektionen, eine Hypertonie oder eine verminderte Dehnbarkeit der Harnblasenmuskulatur hinzukommen. Dies ergab die Nachuntersuchung von 2.741 LUTS*-Patienten, von denen initial 5,9 % eine Kreatininerhöhung, gleichzeitig aber auch Diabetes und/oder eine arterielle Hypertonie aufwiesen. Kein Zusammenhang war zwischen einem erhöhten Kreatinin und Alter, BMI, PSA, Prostatavolumen sowie Restharn zu erkennen. 

Mythos 3: Restharn führt zum Harnverhalt

Auch diese Aussage ist falsch. Dafür sprechen Beobachtungen aus der Studie MTOPS, die sich eigentlich mit der medikamentösen Therapie des benignen Prostatasyndroms (BPS) beschäftigte. 3.047 Patienten mit LUTS und einem Harnfluss von 4–15 ml/s (normal sind 15–50 ml/s) wurden viereinhalb Jahre lang mit unterschiedlichen BPS-Medikamenten oder Placebo behandelt. Im Verlauf entwickelten Placebopatienten, die bereits initial Restharn gezeigt hatten, nicht häufiger einen akuten Harnverhalt als die Verumgruppe. Dies bedeutet aber nicht, dass Restharn beim BPS gar keine Rolle spielt. Er kann die klinischen Symptome verstärken, etwa die Nykt­urie. Hat Mann eine Blasenkapazität von z.B. 400 ml und einen Restharn von 150 ml, bleibt in der Blase nur noch Spielraum für 250 ml, rechnete Prof. Gross vor. Das bedeutet, auch nachts häufiger zur Toilette zu müssen.

Seminarbericht: 17. Allgemeinmedizin-Update-Seminar

*    Lower urinary tract symptoms