Verbrannt, geschnitten, verletzt – Narbenbeurteilung bei Kindern ist anders als bei Erwachsenen

Autor: Dr. Susanne Gallus

Nach Verbrennungen bei Kleinkindern spielen seitens der Eltern oft Schuldgefühle mit. Nach Verbrennungen bei Kleinkindern spielen seitens der Eltern oft Schuldgefühle mit. © Science Photo Library/Camazine, Scott; malajscy – stock.adobe.com

Ob nach Verbrennung, Schnittwunde oder nur minimaler Verletzung: Narben bei Kindern sind ein Fall für sich. Nicht nur die kleinen Patienten selbst, sondern auch das familiäre Umfeld bereiten oft Schwierigkeiten in der Bewertung, ob die Läsionen behandelt werden müssen.

Jede Narbe hat eine Geschichte und man sollte auf alles gefasst sein, berichtete Dr. Joel Fish, plastischer Chirurg vom Hospital for Sick Children in Toronto aus seiner langjährigen Erfahrung. Die „gleiche“ Narbe kann daher für das eine Kind banal sein und auf ein anderes tiefgreifende Auswirkungen haben. Wichtigstes Outcome bei der Behandlung von pädiatrischen Patienten mit Narben sei deshalb das subjektive Empfinden von Kind und Eltern. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab – unter anderem:

  • Wie ist die Narbe entstanden (Infektion/Trauma)?
  • Gibt es assoziierte Verletzungen oder weitere Narben?
  • Wie steht es um persönliche Faktoren des Patienten und der Eltern (Alter, kulturelle oder reli­giöse Überzeugungen)?
  • Beeinträchtigt die Narbe das Kind hinsichtlich Aktivität oder Sexualität?
  • Welche durch die Läsion verur­sachten Symptome gibt es?
  • Liegen genetische Faktoren vor, die die Narbenbildung bzw. -heilung beeinflussen?
  • Wie geht das Kind mit der Situation um?

Was man als Arzt sieht, muss nicht das sein, was der Patient oder dessen Familie sieht (s. Kasten), betonte Dr. Fish. Die Betroffenen schätzen die Situation in der Regel schlimmer ein, was sich auch in einer deutlichen Diskrepanz in Rating Scores äußert, so der Experte. Und gerade im pädiatrischen Setting ergeben sich zusätzliche Probleme, da z.B. die Patienten nicht für sich selbst sprechen (können), sondern die Evaluation über Angehörige erfolgt. Dementsprechend müsse man sehr gründlich sein und zusätzliche Einflussfaktoren berücksichtigen: 

  • Schuldgefühle bei Verletzungen: „Wie konnte ich das zulassen?“
  • Zwischen dem Vorfall und der Evaluierung liegen oft Jahre.
  • Die Verletzung entstand eventuell nicht im Beisein der Eltern, sondern bei entfernten Verwandten oder Freunden (rechtliche Situation).
  • Kleine Kinder sind sich im Gegensatz zu den Eltern der Situation ggf. gar nicht bewusst.

Mission: Kontrolle

Narben, die in Zusammenhang mit Missbrauch oder Selbstverletzungen stehen, bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Letztere liegen oft in sichtbaren Arealen (z.B. Handgelenk oder Armen) und sind für Außenstehende leicht als solche zu identifizieren und daher stark stigmatisierend – meist betrifft es Mädchen im Teenageralter. Das Ziel einer Therapie ist in diesen Fällen in erster Linie, die „Geschichte der Narbe“ z.B. operativ zu verändern und den Patienten die Kontrolle zurückzugeben bzw. die sichtbaren Erinnerungen an bestimmte Ereignisse zu beseitigen. In der Regel stellen sich Betroffene zuerst bei Kollegen vor, die im psychologischen Bereich tätig sind. Dr. Fish empfiehlt daher ein enges und vor allem direktes interdisziplinäres Zusammenarbeiten. Er operiert beispielsweise nur, wenn die Patienten mindestens über ein Jahr verletzungsfrei bleiben.

In den meisten Fällen lautet die Entscheidung von Dr. Fish nach dem Assessment: Abwarten und z.B. mit Massagen konservativ behandeln. Denn (nicht pathologische) Narben werden von sich aus mit der Zeit unscheinbarer. An diesem Punkt müsse man aber oft einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Größter Gegner sind Werbungen im Internet zu „Heilmitteln“, die oft mit haltlosen Versprechen angepriesen werden.

Make-up auf die Rötung?

Manchmal kann eine Fotodokumentation helfen, den Heilungsprozess sichtbarer zu machen, empfahl der Experte. Er riet allerdings davon ab, Vergleichsbilder anderer Patienten zu zeigen. Man wisse nie, was genau die Eltern in dem Foto sehen – auch hier sei wieder die Diskrepanz zwischen Betroffenen und Außenstehenden erwähnt. Zudem haben sich die meisten ohnehin im Internet bereits auf Bildersuche begeben. Bei z.B. noch stark geröteten Narben kann man eine kosmetische Lösung (professionell angepasstes Make-up) vorschlagen, allerdings muss dabei, insbesondere bei Eltern von Jungen, umsichtig argumentiert werden, mahnte Dr. Fish.

Therapie oft schwieriger als gedacht

Die konservative Narbentherapie ist enorm wichtig, aber nicht einfach: Für regelmäßige Massagen von Kleinkindern braucht man ggf. zwei Erwachsene, bei Silikonpads besteht je nach Alter Erstickungsgefahr und Kompressionskleidung bzw. Schienen müssen stetig dem Wachstum der Kinder angepasst werden. Wählt man doch eine Lasertherapie, heißt es wiederum, die Eltern von der bei Kindern i.d.R. nötigen Sedierung bzw. Anästhesie zu überzeugen – der Umgang mit Angst und Furcht spielt insgesamt in dieser Patientengruppe eine große Rolle. Und selbst bei guten OP-Kandidaten haben chirurgische Interventionen nur einen etwa 5%igen Anteil am Outcome, so der Experte. Der Rest hänge von der Rehabilitation ab.

Subjektive Diskrepanz in der Wahrnehmung beachten

Dass – nach Meinung der Betroffenen – dringend behandlungsbedürftige Wundmale für den Betrachter kaum zu sehen sind, kommt im pädiatrischen Bereich häufiger vor, als man annimmt. „Versuchen sie aber nicht, die Narbe zu verharmlosen“, so der Tipp des plastischen Chirurgen. Auch wenn es objektiv gesehen stimmt, macht Ihnen die subjektive Diskrepanz in der Wahrnehmung ggf. einen Strich durch die Rechnung. Um Frustration zu vermeiden, sollte man dabei helfen, einen Weg zu finden, mit der Verletzung besser umzugehen – evtl. nicht von Narbe, sondern von Zeichen (engl. mark) o.Ä. zu sprechen – und die Aufmerksamkeit des Kindes davon wegzulenken. Eine Behandlung ist bei unauffälligen Läsionen nicht nötig. Dennoch empfahl der Experte, den Kontakt mit den Eltern aufrechtzuerhalten (z.B. telefonisch oder per Mail), statt sie einfach wegzuschicken. So wäre es möglich, Hilfe zu vermitteln, wenn sich ein Ver­meidungsverhal­ten, z.B. ein zwanghaftes Verstecken, entwickelt.

Quelle: SCARS 2021*

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