Wann lohnen sich pflanzliche Extrakte ergänzend zu Psychopharmaka?
Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen haben Vorbehalte gegen „chemische“ Arzneimittel. Einige fürchten Abhängigkeit, manche haben schon mit Nebenwirkungen schlechte Erfahrungen gemacht und fragen nach einer pflanzlichen Alternative. Dennis Anheyer und seine Kollegen von der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin in Essen haben in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst, welche Wirksamkeitsbelege für verschiedene Phytopharmaka existieren.
Natternkopf und Rosenwurz wirken antidepressiv
Bei leichten bis mittelschweren Depressionen hat sich Johanniskraut (Hypericum perforatum) als ähnlich wirksam erwiesen wie konventionelle Antidepressiva, aber als besser verträglich. Rücksicht muss man allerdings auf Interaktionen mit anderen Arzneimitteln nehmen, z.B. mit hormonellen Kontrazeptiva, synthetischen Psychopharmaka oder Zytostatika. Nach einzelnen Fallberichten und kleineren offenen Studien scheint Johanniskraut auch Angstzustände zu verbessern. Aber eine kontrollierte Studie dazu fehlt.
Wenn Johanniskraut aus bestimmten Gründen zur antidepressiven Therapie nicht in Betracht kommt, kann alternativ der Einsatz von Safran (Crocus sativus), Gelbwurz (Curcuma longa), Kaukasischem Natternkopf (Echium amoenum) oder Rosenwurz (Rhodiola rosea) erwogen werden. Für alle Genannten liegen positive Erfahrungen zur Linderung depressiver Symptome vor, für Natternkopf und Rosenwurz auch eine systematische Übersichtsarbeit, die für beide Phytoherapeutika eine signifikante Verbesserung der depressiven Symptomatik im Vergleich zu Placebo ergab. Lavendel (Lavandula angustifolia) erwies sich in dieser Arbeit in Kombination mit Imipramin als signifikant wirksamer als Imipramin alleine. Überzeugend in großen kontrollierten Studien nachgewiesen ist die stimmungsaufhellende Wirkung der genannten Phytotherapeutika jedoch nicht.
Ähnliches gilt für Passionsblume (Passiflora incarnata), Lavendel, Rosenwurz und Kamille (Matricaria chamomilla) in der Therapie leichter Angststörungen. Für Passionsblume gibt es eine Studie, in der bei Patienten mit generalisierter Angststörung (GAD) ein mit dem von Oxazepam vergleichbarer Effekt gezeigt werden konnte. Allerdings dauerte es länger, bis sich die Wirkung zeigte. Rosenwurz reduzierte in einer kleinen Pilostudie bei der Hälfte der zehn eingeschlossenen GAD-Patienten die Angstsymptomatik um mindestens 50 %. Kamille konnte in einer klinischen Studie bei Menschen mit GAD die Angstwerte im Vergleich zu Placebo signifikant senken.
Am besten untersucht in der Angsttherapie ist Kava-Kava (Piper methysticum). Und eine gute anxiolytische Wirkung ist durch eine Reihe von kontrollierten Studien klar belegt. Unter anderem in der Europäischen Union wurden Kava-Produkte allerdings bereits vor 20 Jahren wegen potenzieller Hepatotoxizität vom Markt genommen. Studien weisen jedoch darauf hin, dass wässriger Kava-Extrakt gegebenenfalls nicht leberschädigend wirkt. Dies gilt es, genauer zu untersuchen, schreiben die Autoren.
Kleines Fettblatt als Alternative für Patienten mit ADHS
Für die Therapie von Schlafstörungen empfiehlt die EMA u.a. Passionsblume. Bei klinisch relevanten Schlafproblemen wurde die Substanz allerdings noch nicht getestet. Gegen schwerere Schlafstörungen wird man mit pflanzlichen Mitteln selten ankommen. Baldrian (Valeriana officinalis), Rosmarin (Rosmarinus officinalis) und Kamille (Matricaria chamomilla) können aber helfen, leichtere Schlafprobleme zu lindern.
Aus der ayurvedischen Medizin bekannt ist das Kleine Fettblatt (Bacopa monnieri). Es enthält Saponine, welche die kognitive Funktion positiv beeinflussen können. Untersucht wurde das Fettblatt u.a. für die Therapie der ADHS. In Studien mit Kindern und Jugendlichen, die das Phytotherapeutikum einnahmen, verringerte sich die Unruhe und die Selbstkontrolle verbesserte sich. Auch bei Erwachsenen wurde die kognitive Leistung gesteigert. ADHS kann deshalb alternativ mit dem Kleinen Fettblatt behandelt werden, wenn chemisch definierte Medikamente unerwünschte Nebenwirkungen verursachen.
Die Autoren weisen abschließend darauf hin, dass „natürlich“ nicht automatisch mit „nebenwirkungsfrei“ gleichgesetzt werden darf. Dennoch zeigen Phytopharmaka überwiegend eine gute Verträglichkeit und haben zudem eine hohe therapeutische Breite. Deshalb spricht nichts dagegen, pflanzliche Medikamente bei psychischen Erkrankungen zumindest ergänzend zu Psychopharmaka einzusetzen, auch wenn die Wirksamkeit in vielen Fällen nicht ausreichend belegt ist.
Quelle: Anheyer D et al. Z Phytother 2020; 41: 279-285; DOI: 10.1055/a-1306-2841