Wann und warum Hausärzte Dringlichkeiten falsch einschätzen
Über 116.000 britische Patienten haben vor ihrer ungeplanten stationären Aufnahme zwischen April 2014 und Dezember 2017 ihren Hausarzt aufgesucht. Diese Personen machten ein Drittel aller notfallmäßigen Krankenhauseinweisungen aus. Das ergab eine Datenbankanalyse von Dr. Elisabeth Cecil vom Imperial College London und Kollegen. Von einer möglicherweise übersehenen Zustandsverschlechterung gingen die Forscher aus, wenn Patienten in den drei Tagen vor einer Hospitalisierung beim Hausarzt waren, aber letztlich aus Eigeninitiative in die Notaufnahme kamen.
Die Anteile, bei denen der Hausarzt die Verschlechterung wohl übersehen hatte, variierten je nach Region (12 % im Südwesten Englands bis 31 % in London). Besonders hoch war die Wahrscheinlichkeit einer solchen Selbsteinweisung bei Patienten mit Sepsis bzw. Harnwegsinfektionen mit einer Odds Ratio von 1,10 bzw. 1,09.
Die Konsultationen mit den Hausärzten dauerten durchschnittlich neun Minuten. Im Mittel sank bei fünf Minuten mehr berechneter Gesprächszeit das Risiko für eine Selbsteinweisung um 10 %. Patienten, die eine telefonische Beratung erhalten hatten (13 % der Kohorte), mussten sich häufiger auf eigene Initiative ins Krankenhaus begeben als Patienten, die vor Ort mit dem Arzt gesprochen hatten – etwas, was gerade im Kontext der Coronapandemie zum Problem werden könnte. Als weitere Risikofaktoren erwiesen sich z.B. eine lange bestehende Vorerkrankung.
Lage u.a. bei Sepsis und Harnwegsinfekt oft verkannt
Etwas weniger notfallmäßige Selbsteinweisungen wurden beobachtet, wenn Patienten mit einer Hausärztin gesprochen hatten (-4 %). Offenbar war es vor allem bei Sepsis, Harnwegsinfekt oder einer chronischen Erkrankung für Ärzte schwierig, die ernsthafte Verschlechterung von einem sich selbst limitierenden Zustand zu unterscheiden, schließen die Autoren. Die Ergebnisse scheinen auch anzudeuten, dass durch mehr verbrachte Zeit mit dem Patienten ernsthafte Erkrankungen seltener übersehen werden.
Quelle: Cecil E et al. Br J Gen Pract 2021; DOI: 10.3399/BJGP.2020.0986