Tödlicher Anspruch Warum Mediziner häufiger suizidgefährdet sind und wer unterstützen kann

Diabetes Kongress 2024 Autor: Angela Monecke

Ein Teufelskreis: Die Depression erhöht das Fehlerrisiko und Fehler fördern ihrerseits die Depressivität. (Agenturfoto) Ein Teufelskreis: Die Depression erhöht das Fehlerrisiko und Fehler fördern ihrerseits die Depressivität. (Agenturfoto) © WavebreakMediaMicro – stock.adobe.com

Die Suizidrate von Ärztinnen und Ärzten ist 26 % höher als die der Allgemeinbevöllkerung. Das liegt zum einen am Beruf an sich, zum anderen sind psychische Probleme für viele ein Tabuthema, über das sie aus Angst vor negativen Folgen lieber schweigen.

Im Klinikum rechts der Isar stirbt ein Narkose-Arzt an einer Überdosis Propofol. Der Anästhesist hatte sich das Narkosemittel selbst gespritzt. Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig von der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München (TUM) kannte den Kollegen. Wie sich später herausstellte, sei es ein tragischer Unfall gewesen, kein Suizid, erklärte er. Der Narkose­arzt war medikamentensüchtig. Hilfe gegen die Sucht gab es nicht. „Vor allem unter Anästhesisten ist der Medikamentenmissbrauch weit verbreitet, zudem treten Suizide in dieser Fachdisziplin häufiger auf als in jeder anderen“, so der Professor für Psychosomatische Medizin und Medizinische Psychologie.

Suchterkrankungen und Depressionen kommen bei Medizinerinnen und Medizinern vergleichsweise häufig vor. Sie gelten als Angehörige einer suizidgefährdeten Berufsgruppe. Die Suizidrate unter Ärzten liegt um 26 % höher als in der Allgemeinbevölkerung, bei den Ärztinnen ist sie sogar viermal höher als unter Frauen allgemein. Und: Suizidversuche von Ärztinnen und Ärzten enden auch häufiger tödlich.

Frühere Ideale kollidieren mit der Realität des Klinikalltags

Woran liegt es, dass Mediziner an ihrem früheren Traumberuf irgendwann scheitern? Man müsse sich nur das Selbstkonzept der frühen Jahre vieler Ärzte ansehen, erklärte Prof. Ladwig: Nach dem Abitur wollen die meisten voll durchstarten und sich selbst eine Identität schaffen, die in der Gesellschaft einen sehr hohen Rang hat: ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, eine hohe Konflikt-Toleranz und Anstrengungs­bereitschaft, viel Selbstdisziplin. Über allem stehe der „Retter-Impuls“, so der Psychologe: Ein starker Mensch, der alles macht, alles weiß, damit alles gut wird. Eigene psychische Belastungsfaktoren würden hierbei unter­drückt, negative Affekte vermieden. „Das ist ein Anspruch, den viele an sich richten“ – und der nicht selten scheitert und tödlich endet.

Die Arbeitsbelastungen im Krankenhaus hat der Marburger Bund bereits 2015 und in weiteren Jahren in seinem „MB-Monitor“ untersucht. Die Befragungsergebnisse machen deutlich, dass hoher Zeitdruck, zunehmende Arbeitsverdichtung und Personalmangel nicht nur im Klinik­alltag belasten, sondern sich auch negativ auf das gesundheitliche Befinden und das Privatleben auswirken. Drei Viertel der Ärzte sahen in der damaligen Befragung die eigene Gesundheit z.B. durch Schlafstörungen und häufige Müdigkeit in Gefahr. Und 77 % aller Befragten (79 % der Männer und 76 % der Frauen) nahm die Arbeit so stark in Anspruch, dass dadurch das Privat- bzw. Familienleben litt.

Der MB-Monitor von 2019 er­gab, dass 15 % der Ärzte durch ihre Arbeit schon einmal so stark psychisch belastet waren, dass eine ärztliche bzw. psychotherapeutische Behandlung nötig war, etwa wegen eines Burnouts. Etwa die Hälfte der Befragten (49 %) gaben zudem an, dass sie häufig überlastet sei. Jeder zehnte Mediziner stimmte der Aussage zu: „Ich gehe ständig über meine Grenzen.“

Immer wieder berichtet ärztliches Personal, das psychische Probleme hat, auch von einer erheblichen und anhaltenden Angst vor Stigmatisierung. Dies ergab eine anonyme Umfrage von 2016 aus den USA zur Diagnose, Behandlung und Meldung psychischer Erkrankungen. „Ich möchte nie eine psychische Diagnose in meiner Akte haben“, war eine der zentralen Aussagen.

Eine solche Diagnose ist „mit Scham und dem Versuch verbunden, das Thema klein zu halten – auch gegenüber den Kollegen und der Ärztekammer“, beschrieb der Münchner Psychologe. „Der Großteil der Ärzte fühlt sich einfach ausgebrannt.“ Das habe auch gravierende Folgen auf ihre Arbeit. Den Zusammenhang zwischen depressiven Symptomen beim Arzt und medizinischen Fehlern untersuchte eine Metaanalyse von 2019. „Burnout und Depressivität sind Treiber für medizinische Fehler und Versagen am Arbeitsplatz. Diese wiederum ein Treiber für Depressivität“, fasste Prof. Ladwig zusammen. Die Ergebnisse zeigen, dass Ärzte, die positiv auf depressive Symptome gescreent wurden, einem höheren Risiko für medizinische Fehler ausgesetzt sind. Ob Interventionen diese Beschwerden verringern und dabei helfen, medizinische Fehler einzudämmen, müsse weiter erforscht werden.

Offene Gespräche unter Kollegen sind Teil der Lösung

Eine Botschaft, die der Referent allen Medizinern mit auf den Weg gab: „Talk about it! Das Sprechen unter Kollegen, die Entwicklung von Arbeitskreisen sowie Arbeits- und Intervisionsgruppen im ärztlichen Alltag sollten Teil des Geschäfts sein. Wir haben das in der Klinik eingeführt und denken, dass es bei den Kollegen sehr erfolgreich ankommt.“

Die Gründe für die hohe Suizidrate unter Ärztinnen vermutet Prof. Ladwig darin, dass sich Frauen, besonders innerhalb der Klinikhierarchie, auch heute noch „mehr durchsetzen“ müssten als ihre männlichen Kollegen. Die „chronische Grundbelastung“ liege bei ihnen wesentlich höher. Ein Konflikt, den man bei internen Arbeitssitzungen ansprechen sollte und dort bestenfalls lösen kann.

Quelle: Kongressbericht Diabetes Kongress 2024


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