Vaginalflora Was bringt das Mikrobiom durcheinander?
Auf und in einem gesunden Menschen leben mindestens 2.000 verschiedene Bakterienarten mit einem Gesamtgewicht von etwa 200 g, berichtet Prof. Dr. Werner Mendling vom Deutschen Zentrum für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe an der Landesfrauenklinik, Helios Universitätsklinikum Wuppertal. Dank moderner molekularbiologischer Techniken (z.B. Gensequenzierung) werden in Darm und Scheide immer wieder neue Bakterienarten entdeckt, die mit den traditionellen Kulturmethoden nicht angezüchtet werden können.
Gegenwärtig geht man davon aus, dass in der Vagina einer gesunden, prämenopausalen Frau 561 Bakterienspezies vorkommen können. In Balance gehalten werden sie von Laktobazillen. Mehr als 30 der insgesamt 261 bekannten Lactobacillusarten finden sich in der Scheide, darunter die für das vaginale Milieu wichtigen Vertreter L. crispatus, L. gasseri, L. jensenii und L. iners. Diese Bakterien verstoffwechseln das unter dem Einfluss der Eierstockhormone von denVaginalzellen gebildete Glykogen und produzieren dabei Milchsäure (Laktat), die für den sauren pH-Wert der Scheide verantwortlich ist.
Eine „normale“ Flora ist kaum definierbar
Außer den Laktobazillen kommen in der Vagina zahlreiche weitere Bakteriengattungen wie Gardnerella, Atopobium, Prevotella, Streptococcus, Corynebacterium, Gemella, Dialister, Snethia, Megasphera, Mobiluncus, Ureaplasma und Mycoplasma vor. Bei 70% der Frauen lässt sich ferner eine Kolonisation mit verschiedenen Pilzen nachweisen, insbesondere mit Candida albicans. Interessant zu wissen, ist, dass man viele vaginal vorkommende Bakterien ebenso in der Mundhöhle und im Enddarm findet, so der Experte weiter.
Das vaginale Mikrobiom wird individuell durch Genetik (z.B. Ethnie, Genpolymorphismen), Lebensweise (z.B. Ernährung, Bewegung, Rauchen), Hormonwirkungen, Antibiotika, sexuelle Aktivität und andere Faktoren beeinflusst. Zudem unterliegt es während des Zyklus kurzfristigen dynamischen Veränderungen. Eine „normale“ Vaginalflora ist daher kaum definierbar, meint der Autor.
Mit einem Gerücht räumt er in diesem Zusammenhang auf: Tampons sind für das vaginale Mikrobiom viel weniger problematisch als häufig angenommen. Sie beeinträchtigen die mikrobielle Besiedlung nicht signifikant und begünstigen auch keine gynäkologischen Infektionen. Das durch toxinbildende Stämme von Staphylococcus aureus hervorgerufene menstruelle Toxisches-Schock-Syndrom (TSS) kann zwar in Zusammenhang mit der Tamponanwendung auftreten.Vorschub leisten z.B. eine zu lange Liegedauer des Tampons sowie ein zu häufiger Wechsel (Sauerstoffzufuhr!). Allerdings sind auch Frauen, die auf Tampons verzichten, und Anwenderinnen von Menstruationstassen nicht davor gefeit.
Gerät die Vaginalflora aus dem Gleichgewicht, spricht man von einer bakteriellen Vaginose: Laktobazillen nehmen ab, Gardnerella vaginalis sowie Anaerobier und Mykoplasmen hingegen nehmen zu. Entscheidend für die Diagnose ist allerdings nicht der Nachweis dieser Bakterienarten, sondern das Fehlen der Laktobazillen sowie das typische „Schlüsselzell-Phänomen“ im mikroskopischen Nativpräparat, so Prof. Mendling. Die bakterielle Vaginose begünstigt sexuell übertragbare Infektionen (und umgekehrt), prädisponiert für aufsteigende Genitalinfektionen und erhöht in einer Schwangerschaft das Frühgeburtsrisiko.
Der Goldstandard zur Unterscheidung zwischen einer gesunden und einer gestörten Vaginalflora ist die Phasenkontrastmikroskopie des Nativpräparats in Kombinationmit dem vaginalen pH-Wert, erklärt der Experte. Leider werden in der Praxis zur Abklärung von vaginalem Ausfluss häufig Kulturen aus Abstrichpräparaten veranlasst, bedauert er. Das Problem: Hierbei finden sich fast immer Normalbefunde, die regulär auch Bakterien der Darmflora wie Escherichia coli oder Enterococcus faecalis umfassen.
Das Vaginom kann man auch ohne Kultur bestimmen
Nicht selten führt dies zu unnötigen und nicht zuletzt kostenintensiven Antibiotikabehandlungen, psychischen Belastungen der betroffenen Frauen und einer Zunahme der Morbidität. Schon heute gibt es die Möglichkeit, das Vaginom mithilfe nichtkultureller Techniken zu bestimmen, schließt Prof. Mendling. Die Interpretation dieser komplexen Befunde erfordert jedoch großes Fachwissen und ist klinisch zurzeit noch nicht praktikabel.
Quelle: Mendling W. Akt Dermatol 2021; 47: 451-456; DOI: 10.1055/a-1547-9613