Surrogatparameter Was treibt das Analkrebsrisiko bei HIV in die Höhe?
Inzidenzrate 24-mal höher als bei Nicht-Infizierten
In ihrer multizentrischen retrospektiven Kohortenstudie wertete die Arbeitsgruppe die Daten von 14.238 Personen mit HIV aus, die noch keine Therapie erhalten hatten. Dazu nutzte sie Daten der PISCIS-Kohorte aus den Jahren 1998 bis 2022.
Nach einem medianen Follow-up von 9,5 Jahren entwickelten 107 Personen ein histologisch bestätigtes Analkarzinom. Die Inzidenzrate lag damit 24-mal höher als die in der Allgemeinbevölkerung. Beim Vergleich mit den mit HIV Infizierten ohne Analkrebs fiel auf, dass ein größerer Prozentsatz der Krebskranken Männer waren, die Sex mit Männern hatten (58,9 % vs. 47,9 %). Während die Patientinnen und Patienten mit Analkarzinom größtenteils (57,9 %) ihre HIV-Diagnose vor 1998 erhalten hatten, entfiel die Mehrzahl der Erstdiagnosen in der krebsfreien Gruppe auf die Jahre 2009–2014 (25,4 %) und 2015–2022 (26,6 %).
Außerdem gab es Unterschiede, was die Anzahl der bei Diagnose erhobenen CD4-Zellen angeht. Einen Tiefstwert (Nadir) von unter 200 Zellen/µl wiesen innerhalb der Analkarzinomgruppe 66,4 % auf, innerhalb der Gruppe ohne Analkrebs dagegen nur 39,5 %. Einen Wert von über 350 Zellen/µl zeigten unter den Krebskranken nur 0,9 %, innerhalb der krebsfreien Gruppe 31,4 %.
Die CD4-Zellzahl stellte sich in dieser Studie als robuster Surrogatparameter für das Analkarzinomrisiko heraus, schreibt die Autorengruppe, mit dem sich das Risiko am besten stratifizieren ließ. Bei einem Wert von über 350 Zellen/µl ist nach ihren Ergebnissen die Wahrscheinlichkeit für den Krebs nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung. Würde man sich also in Screeningprogrammen von HIV-Infizierten in erster Linie auf Personen mit einer Zellzahl unter 200 pro µl beschränken, ließe sich das Screening deutlich effizienter gestalten. Bevor eine solche Empfehlung Eingang in die Leitlinien findet, müsste sie aber durch andere große Kohortenstudien bestätigt werden.
Der HPV-Impfstatus wurde in der Studie nicht erhoben
In einem Kommentar betonen Prof. Dr. Elena Sendagorta und Prof. Dr. Pedro Herranz von der Universität Madrid, wie wichtig ein zielgerichteteres Screening ist. Unter anderem ließe sich damit eine Überdiagnostik vermeiden. Als Limitation der Studie sehen sie, dass keine Daten zu Rauchgewohnheiten und HPV-Impfungen erhoben wurden – denn beide Faktoren würden das Krebsrisiko ebenfalls beeinflussen.
Quelle:
1. Llibre JM et al. Lancet HIV 2024; 11: e598-e606; doi: 10.1016/S2352-3018(24)00174-7
2. Sendagorta E, Herranz P. Lancet HIV 2024; 11: e570-e571; doi: 10.1016/S2352-3018(24)00182-6