Geschlechtspezifische Genetik Welche Rolle spielt das X-Chromosom bei Alzheimer?

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Die Autorinnen und Autoren identifizierten sechs unabhängige genetische Loci auf dem X-Chromosom, die mit Alzheimer assoziiert waren. Die Autorinnen und Autoren identifizierten sechs unabhängige genetische Loci auf dem X-Chromosom, die mit Alzheimer assoziiert waren. © Cavan – stock.adobe.com

Die Prävalenz der Alzheimer-Erkrankung ist bei Frauen höher als bei gleichaltrigen Männern. Außerdem trägt das X-Chromosom, das 5 % des gesamten Genoms ausmacht, eine große Zahl an Genen, die im Gehirn exprimiert werden und mit intellektuellen Einschränkungen in Zusammenhang stehen.

Deshalb liegt es nahe, dass im X-Chromosom Hinweise auf genetische Variationen, die zur Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beitragen, zu finden sein müssten, schreiben Forschende um Prof. Dr. Michael Belloy von der Stanford University School of Medicine. Doch aufgrund technischer und analytischer Schwierigkeiten habe es bislang kaum Forschung in diese Richtung gegeben.

Eine der bislang größten Studien dieser Art

Jetzt hat das Team eine groß angelegte chromosomweite Assoziationsstudie für das X-Chromosom zur Alzheimerdemenz durchgeführt. Dazu werteten die Autorinnen und Autoren die genetischen Daten von mehreren Kohorten aus den USA, dem Vereinigten Königreich und Finnland aus. Das Alzheimer-Risiko schätzten sie mittels logistischer Fall-Kontroll-Regressionsanalysen ein. Eingeschlossen waren die Daten von insgesamt 1.152.284 Teilnehmenden, darunter 138.558 Personen mit Morbus Alzheimer. Damit handelte es sich um eine der bislang größten genetischen Assoziationsstudien zu dieser Erkrankung.

Die Autorinnen und Autoren identifizierten sechs unabhängige genetische Loci auf dem X-Chromosom, die mit Alzheimer assoziiert waren. Für vier dieser Loci konnten sie den Zusammenhang zwischen dem genetischen Signal für das Auftreten von Alzheimer und der Expression nahe gelegener Gene in Gehirn- und Nicht-Gehirn-Geweben belegen. Am stärksten war dieser Zusammenhang bei einem Intron des Gens SLC9A7 (Odds Ratio, OR, 1,03). Dieser Locus ist an der Regulation der pH-Homöostase in sekretorischen Kompartimenten des Golgi-Apparats beteiligt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass er darüber hinaus nachgelagerte Auswirkungen auf die Akkumulation von β-Amyloid hat.

Einblicke in die funktionellen Folgen von Genvarianten

Die Studie ebne den Weg für zukünftige neue Forschungslinien, schreiben Prof. Dr. Rachel Buckley und Dr. Mabel Seto vom Brigham and Women’s Hospital in Boston in einem begleitenden Editorial. Die Kombination genomweiter Analysen mit transkriptomischen, epigenomischen und proteomischen Daten könne tiefere Einblicke in die funktionellen Folgen von X-chromosomalen Genvarianten ermöglichen. Sie geben allerdings zu bedenken, dass Träger des aktiven Allels von SLC9A7 nur ein um rund 5 % erhöhtes Alzheimer-Risiko aufwiesen, die Effektstärken demnach klein waren. Dies sei aber typisch für komplexe Erkrankungen. 

Quelle:
1. Belloy ME et al. JAMA Neurol 2024; e242843; doi: 10.1001/jamaneurol.2024.2843
2. Buckley RF, Seto M. JAMA Neurol 2024; doi: 10.1001/jamaneurol.2024.2831