Systemische Erkrankungen Wenn die Haare Bände sprechen

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Mit dem auf die Kopfhaut aufgesetzten Trichoskop lassen sich Details wie Haarwurzeln, Haarfollikelöffnungen, Pigmentveränderungen und Gefäße nicht-invasiv und schmerzfrei beurteilen. Mit dem auf die Kopfhaut aufgesetzten Trichoskop lassen sich Details wie Haarwurzeln, Haarfollikelöffnungen, Pigmentveränderungen und Gefäße nicht-invasiv und schmerzfrei beurteilen. © Salomonus_/gettyimages

Viele systemische Erkrankungen machen sich auch am behaarten Kopf bemerkbar. Typische Beispiele sind Kollagenosen und Sarkoidose. Aber auch so manches Lymphom führt zu pathologischen Veränderungen an Haar ­und Kopfhaut.

Besonders gut geeignet zur Beurteilung der Kopfhaut ist die Trichoskopie. Das trifft auch auf lokale Manifestationen von systemischen Erkrankungen zu. Welche trichoskopischen Merkmale­ Kolla­genosen und lymphoproliferative Erkrankungen aufweisen, haben Prof. Dr. Lidia Rudnicka und ihr Team von der Medizinischen Universität Warschau in einer Übersichtsarbeit zusammengetragen. 

Lupus erythematodes

Bis zu 80 % der Patienten mit systemischem Lupus erythematodes leiden unter Haarausfall. Meist handelt es sich um eine nicht-vernarbende Alopezie, die entweder diffus oder fleckförmig auftritt. Trichoskopische Merkmale sind:

  • stark verzweigte und gewundene Gefäße
  • schwarze Flecken
  • verdünnte Haare (einigen Studien zufolge ist der Durchmesser der Haare mit der Krankheitsaktivität nach SLEDAI-2K* assoziiert)
  • hypopigmentierte Haarschäfte
  • blau-graue und braune Pigmentationen

Dermatomyositis

Die Dermatomyositis manifestiert sich in bis zu 85 % der Fälle an der Kopfhaut. Erythem, Juckreiz und eine meist nicht-vernarbende Alopezie sind klinische Merkmale. In der Trichoskopie finden sich:

  • vergrößerte geschlängelte Kapillaren
  • ektatische gefäßartige, mit Ery­throzyten gefüllte Strukturen
  • perifollikuläre und interfollikuläre Schuppung
  • perifollikuläre rot-braune Pigmentierung (assoziiert mit der Krankheitsaktivität)
  • mikroaneurysmatische Blutgefäße 
  • perifollikulär lokalisierte abnorme Gefäße

Systemische Sklerose

Die Mikroangiopathie bei systemischer Sklerose lässt sich nicht nur an der Nagelfalz, sondern auch an der Kopfhaut gut erkennen. Tricho­skopisch zeigt sich z.B., dass die Gefäße oft in einem linearen oder gruppierten Muster angeordnet sind. Als weitere Auffälligkeiten gelten:

  • stark verzweigte und polymorphe Gefäße vor allem im frontalen Bereich
  • Teleangiektasien
  • avaskuläre Areale
  • verdünnte Haarschäfte
  • weiße Flecken und Punkte 

Sarkoidose 

Bei der Sarkoidose kommt es meist zu einer vernarbenden Alopezie, in manchen Fällen tritt allerdings auch ein nicht-vernarbender Haarausfall auf. Die Kopfhaut weist diskoide, lupus­ähnliche Läsionen oder verhärtete rot-orange Plaques und Knötchen auf. Potenzielle trichoskopische Befunde sind:

  • perifollikuläre und follikuläre gelbliche bis blassorangefarbene runde Bereiche
  • perifollikuläre Schuppung 
  • dystrophe Haare 
  • Teleangiektasien 
  • fokale Atrichie

Lymphoproliferative Erkrankungen

Haarausfall kann auch auf pimäre kutane T-Zell-Lymphome hindeuten. Mit einer geschätzten Inzidenz von 65 % kommt es dazu am häufigsten bei Patienten mit follikulotroper ­Mycosis fungoides. In den frühen Stadien der Erkrankung finden sich trichoskopische Anzeichen einer Follikelinvasion und -entzündung wie 

  • nachwachsende, zusammengerollte Haare mit spitzen Enden (pigtail hair) 
  • gelbe Punkte 
  • spermatozoenähnliche Gefäße

In fortgeschrittenen Stadien des kutanen T-Zell-Lymphoms sieht man als Anzeichen eines fibrotischen Prozesses trichoskopisch häufig weiße Punkte oder Linien. Zudem kann das Fehlen von Follikelöffnungen auffallen. 

Anders als T-Zell-Lymphome betreffen primäre kutane B-Zell-Lymphome nur selten die Kopfhaut. Trichoskopische Befunde stammen bisher nur von Patienten mit primären kutanen Follikelzentrum-Lymphomen. Beschrieben wurden verzweigte und lineare Gefäße, die auf die Angiogenese zurückzuführen sind, sowie lachsfarbene Areale, die dermalen lymphozytären Infiltraten entsprechen. Obwohl eine Hautbeteiligung beim Multiplen Myelom eher selten ist, können manchmal – i.d.R. im Spätstadium – Veränderungen an Haar und Kopfhaut festgestellt werden. Dazu gehören follikuläre Spiculae und Haarknoten, die aus Keratin und ausgefäll­tem monoklonalem Protein bestehen.

Andere Neoplasien

Bei einem Angiosarkom deuten rosafarbene und rote polymorphe Bereiche der Kopfhaut auf Tele­angiektasien oder vaskuläre Kanäle hin. Dunkelrote bis violette Bereiche können Ausdruck von Thromben, Blutungen und sekundären dila­tierten vaskulären Strukturen sein. Weiße ­Linien stehen oft im Zusammenhang mit fibrösen Septen zwischen neoplastischen vaskulären Räumen.

Polymorphe Gefäße und gelbliche Bereiche auf rosafarbenem Hintergrund sind die vorherrschenden trichoskopischen Merkmale von ­Metastasen bösartiger Tumoren in der Kopfhaut.

* Systemic Lupus Erythematosus Disease Activity Index 2000

Quelle: Rudnicka L et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2023; DOI: 10.1111/jdv.19047