Depression Wenn die KI zur Psychotherapie rät

Autor: Michael Brendler

Künstliche Intelligenz könnte Allgemeinmediziner in Zukunft unterstützen. Künstliche Intelligenz könnte Allgemeinmediziner in Zukunft unterstützen. © khunkornStudio – stock.adobe.com

Wie weit ist die künstliche Intelligenz bei der Dia­gnostik und Therapie psychischer Störungen? Forscher aus Israel haben einem Chatbot Fallvignetten depressiver Patienten­ präsentiert. Die KI hielt sich bei ihren Therapieempfehlungen oft genauer an die Leitlinien als Hausärzte.

Weit mehr als 100 Millionen Menschen weltweit nutzen bereits ­ChatGPT. Die künstliche Intelligenz könnte ihre Stärken auch in der Medizin ausspielen – davon sind zumindest Prof. Dr. ­Inbar ­Levkovich vom Oranim Academic College in Tivon und Dr. ­Zohar ­Elyoseph vom Max Stern Academic College Of Emek Yezreel überzeugt. Wie viel ­ChatGPT als Unterstützung schon taugt, haben die beiden Forscher nun am Krankheitsbild Depression getestet. Denn gerade dabei könnten Allgemeinmediziner Hilfe gebrauchen, glauben sie. In mehr als der Hälfte der Fälle liegen sie mit ihren Diagnosen daneben. Und oft folgt ihre Therapie nicht dem, was die Leitlinie vorgibt.

Für ihre Untersuchung präsentierten Prof. ­Levkovich und Dr. ­Elyoseph den beiden Programmversionen ChatGPT-3.5 and ChatGPT-4 acht verschiedene Fälle aus der klinischen Praxis. Bei den Vignetten wurden die Krankheitsschwere (leicht oder schwer), das Geschlecht des Patienten und dessen sozioökonomischer Status variiert. Die Fragestellung an die KI lautete: Was, glaubst du, würde ein Allgemeinarzt in dieser Situation empfehlen? Die Antworten wurden mit denen von 1.249 Allgemeinärzten verglichen, die vorher mit derselben Methodik befragt worden waren.

Bei Vignetten, die auf eine leichte Depression hindeuteten, riet die KI deutlich häufiger zu einer Psychotherapie: Der Chatbot hätte rund 95 %, die Ärzte nur 4 % dieser Patienten ausschließlich zu einem Therapeuten überwiesen. Die meisten Mediziner verschrieben dagegen ausschließlich ein Anti­depressivum (48 %) oder eine Kombination beider Therapien. Der Einsatz von Antidepressiva zur Erstbehandlung einer leichten depressiven Episode ist allerdings (ohne weitergehende Informationen, die das rechtfertigen würden) nicht leitlinienkonform.

Die Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten empfahl ChatGPT dagegen deutlich häufiger Personen mit schweren Depres­sionen. ChatGPT-3.5 entschied sich dazu in 72 % der Fälle, ChatGPT-4 sogar in 100 %. Die Hausärzte wählten diese laut Leitlinien zu bevorzugende Strategie in immerhin 44 % der Fälle. Für 40 % der Patienten empfahlen sie dagegen eine rein medikamentöse Therapie. Im Gegensatz zur KI schrieb die Mehrzahl der Mediziner auf ihr Rezept nicht nur ein Antidepressivum, sondern eine Kombination aus Antidepressivum und Anxiolytikum oder Hypnotikum.

ChatGPT war von Geschlecht und Status unbeeindruckt

„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die therapeutischen Vorschläge von ChatGPT sich im Rahmen der anerkannten Leitlinien bewegen“, schreiben die Autoren. Im Gegensatz zu den Ärzten, stellen sie zudem fest, ließe sich die KI bei ihrer Entscheidungsfindung auch nicht von Faktoren wie dem Geschlecht oder dem sozioökonomischen Status der Patienten beeinflussen. Allerdings arbeitete auch der Computer nicht fehlerlos: 28 % der Schwerkranken riet die ältere Programmvariante ChatGPT-3.5 ausschließlich zu einer Psychotherapie – eine Strategie, die von Leit­linien nicht empfohlen wird.

Quelle: Levkovich I, Elyoseph Z. Fam Med Com Health 2023; DOI: 10.1136/fmch-2023-002391