Chronische Krankheiten Fragebogen zur Erkennung von Depressionen reichen nicht aus
Bis zu 70 % der Patienten mit chronischen Schmerzen leiden an einer komorbiden Depression. Für Menschen mit Diabetes oder Schlafapnoe liegt die Rate laut der Nationalen VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression1 bei 30 %, bei Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung sind es 15 % und bei Demenzerkrankungen 50 %. Wenn sie auf Patienten mit chronischen somatischen Erkrankungen oder funktionellen Störungen treffen, sollten hausärztlich tätige Kollegen mit ihren Teams daher immer an die Möglichkeit einer unipolaren Depression denken, riet Dr. Iris Veit, Hausärztin in Herne. In einer eigenen Untersuchung stellte sie bei 25 % ihrer Patienten mit Schlafapnoe eine behandlungsbedürftige Depression fest. Diese hatte unter anderem zur Folge, dass sich Antriebsarmut und Müdigkeit durch die Behandlung der Schlafapnoe nicht verbesserten.
Bei entsprechenden Beschwerden ist daher immer zu hinterfragen, ob es sich bloß um ein Symptom der körperlichen Erkrankung handelt oder ob möglicherweise zugleich eine psychische Störung vorliegt. Dr. Veit erinnerte daran, dass depressive Symptome auch den sozialen Auswirkungen einer Krankheit (Armut, Arbeitslosigkeit, Einsamkeit) entspringen können. Zudem kommen Nebenwirkungen der Medikation infrage, insbesondere bei Multimorbidität. Explizit nannte sie Antihypertensiva (Betablocker, Clonidin, selten ACE-Hemmer), Immuntherapeutika (Interferon), Benzodiazepine, Trizyklika, Neuroleptika, Antihistaminika, Opiate und Parkinsonmittel.
Screening-Fragebogen, die von den Patienten schon im Wartezimmer ausgefüllt werden, können zwar wichtige Hinweise auf eine depressive Erkrankung geben. Dr. Veit betonte aber, dass diese Checklisten kein Ersatz dafür sind, das Thema Gefühle und Stimmungen im Anamnesegespräch anzusprechen – so viel Zeit muss sein. Im Gespräch komme es darauf an, Vertrauen zu schaffen und die Aussagen des Patienten zurückzuspiegeln. Wichtig sei es auch, die Symptome nicht zu bagatellisieren: Statt einem „Alles halb so schlimm!“ kann ein „Ich sehe, dass Sie gerade schwere Zeiten durchmachen“ dabei helfen, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.
Personal für Anzeichen einer Depression sensibilisieren
Müdigkeit, Vitalitätsverlust, Gedanken der Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit sowie ein herabgesetztes Selbstwertgefühl sind immer Warnzeichen für eine Depression, so Dr. Veit. Beim Erkennen depressiver Störungen sei das ganze Behandlungsteam gefragt. Es lohne sich daher, die MFA einzubeziehen und zu schulen, wie es etwa in der Rheumatologie und der Gastroenterologie üblich sei.
Wenn chronisch Kranke alle drei Monate kommen, sollte der auch in der Leitlinie empfohlene Zwei-Fragen-Test zum Depressionsscreening eingesetzt werden. Die Fragen lauten:
- Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?
- Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?
Ein weiterer Ansatzpunkt sind die Bilanzgespräche, die in den DMP einmal im Jahr vorgesehen sind. Diese Gelegenheit kann man nutzen, um Gefühle und die persönliche Situation anzusprechen. Beim Check-up 35 sollte ebenfalls generell ein Depressionsscreening erfolgen, riet Dr. Veit.
Die Ärztin wünschte sich außerdem eine bessere Kooperation mit den Kollegen aus der Psychiatrie. In Herne etwa gebe es einen sechs Mal im Jahr stattfindenden Qualitätszirkel „Der schwierige Patient“, an dem sich alle ärztlichen Fachrichtungen beteiligen. Dr. Veit regte an, dass Hausärzte vermehrt in Qualitätszirkel von Psychiatern eingeladen werden. „Dann wird sich à la longue auch die Diagnostik und Behandlung verbessern“, ist sie überzeugt.
Quellen:
1. https://www.leitlinien.de/themen/depression
2. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.-Kongress 2022