Schizophrenie verhindern Wenn die Realität Risse bekommt
Bislang galt, dass man so schnell wie möglich nach Erstmanifestation einer Schizophrenie oder anderen psychotischen Störungen mit der Behandlung beginnen sollte. Doch wegen der manchmal jahrelangen Prodromalphase kommt man in vielen Fällen zu spät, um gute Therapieerfolge zu erzielen. Daher rücken die Früherkennung und -intervention immer stärker in den Fokus, stellte Prof. Dr. Anne Karow fest, Leiterin des Arbeitsbereichs Adoleszentenpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Wird bereits in der sogenannten Hochrisikophase behandelt, lässt sich die Manifestation der Erkrankung zwar oft nicht verhindern. Ihr Ausbruch wird aber zumindest verzögert und die Therapie verläuft erfolgreicher. Dadurch ermöglicht man es den Betroffenen, wichtige Meilensteine der psychosozialen und biologischen Entwicklung weniger belastet bzw. überhaupt erst zu erreichen, erklärte Prof. Karow.
Die Prodromalphase kann mehrere Jahre dauern
Manchmal treten erste Symptome nur wenige Wochen vor der Erstmanifestation einer psychotischen Erkrankung auf. In anderen Fällen zieht sich diese Phase über mehrere Jahre. Mit fortschreitender Dauer des Prodroms sinkt die Einsicht in eine Behandlungsnotwendigkeit. Auch Wahnsymptome, Anspannung, Depressivität und Negativsymptome wie Anhedonie und sozialer Rückzug sprechen schlechter auf eine Therapie an, wenn die Erkrankung schon länger geschwelt hat.
Viele Betroffene eignen sich bereits im Hochrisikostadium dysfunktionale Verhaltensweisen an, die der Selbstregulation dienen sollen, etwa Substanzmissbrauch. Auch deshalb werden Remissionen nach einem Erkrankungsbeginn umso seltener erreicht, je länger das unbehandelte Risikosyndrom gedauert hat, wie eine 2023 erschienene Metaanalyse zeigte.
Eine große Rolle in der Früherkennung spielen kurze intermittierende psychotische Symptome, auch bekannt als BLIPS (brief limited intermittent psychotic symptoms). Dabei handelt es sich um voll ausgeprägte psychotische Zustände, in denen der Betroffene den Realitätsbezug verliert. Im Gegensatz zu den Symptomen bei einer manifesten Psychose sind BLIPS aber nur von kurzer Dauer, sie halten meist nur einige Stunden an.
Eng verwandt sind die sogenannten attenuierten psychotischen Symptome (APS). Hierbei bleibt der Realitätsbezug bestehen, es liegen aber z.B. eine Wahnstimmung oder überwertige Ideen vor. Etablierte Früherkennungsinstrumente sind der CAARMS1 und SIPS/SOPS2; seit Kurzem existiert auch eine laut Prof. Karow „längst überfällige“ Zusammenführung der beiden Skalen unter dem Namen PSYCH3.
Die meisten Früherkennungs-Zentren in Deutschland nehmen Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 25 Jahren auf, einige untersuchen schon Patienten ab 12 Jahren. Bei der Entscheidung über das weitere Vorgehen – etwa die Vermittlung in eine diagnosespezifische Therapie, in eine präventive Behandlung oder ein Stepped-Care-Modell – unterstützt ein klinischer Algorithmus.
Wichtig beim Screening sind die Differenzialdiagnostik, insbesondere der Ausschluss organischer Ursachen, und die Erfassung psychiatrischer Komorbiditäten. Letztere bestehen einer 2023 publizierten Metaanalyse zufolge bei fast 80 % der Personen mit Psychose-Hochrisikoprofil, am häufigsten sind Depression und Angststörungen.
Liegt ein hohes Risiko vor, beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine psychotische Ersterkrankung innerhalb von zwei Jahren rund 20 %. Die stärkste Vorhersagekraft hat einem Umbrella-Review zufolge das Auftreten von BLIPS. Besonders gefährdet sind zudem junge Menschen, bei denen im Risikostadium Negativsypmtome und deutliche Funktionseinschränkungen auffallen. Ein weiterer wichtiger Risikofaktor ist der Cannabiskonsum.
Immer wieder wird diskutiert, ob die Früherkennung auch Nachteile hat, so Prof. Karow, etwa eine frühe Stigmatisierung der Betroffenen. Demgegenüber stehen erste Metastudien, die einen klaren Benefit des frühen Screenings und einer anschließenden Intervention belegen.
Vielfältiger Nutzen der Früherkennung belegt
Zu den gesicherten Vorteilen gehören vor allem weniger Therapieabbrüche und eine erhöhte Rate von sowohl kurzfristiger Remission als auch langfristiger Recovery. Auf das Funktionsniveau im Alltag und die Lebensqualität wirkt sich eine frühzeitige Intervention offenbar ebenfalls günstig aus.
Bislang lässt sich nach Aussage von Prof. Karow noch keine klare Empfehlung aussprechen, welche Art von Therapie man Patienten mit einem Hochrisikoprofil anbieten sollte. Eine in diesem Jahr erschienene randomisierte Studie zeigte keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen kognitiver Verhaltenstherapie, Behandlung mit klinischem Monitoring plus Aripiprazol sowie Monitoring und Placebo.
„Jede Behandlung ist besser als nicht zu behandeln“, fasste die Expertin zusammen. Grundsätzlich sollten aber zunächst nicht-pharmakologische Interventionen und ein regelmäßiges klinsches Monitoring angeboten werden.
Allerdings kann auch schon bei jungen Menschen eine Indikation für die Pharmakotherapie bestehen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn dadurch erst die Fähigkeit zur Teilnahme an einer Psychotherapie hergestellt wird, wenn viele Risikofaktoren zusammenkommen oder wenn die Symptomatik unter einer nicht-pharmakologischen Intervention weiter voranschreitet.
Quelle: Online-Veranstaltung „Aktuelles zu Psychosen“ vom 26.09.2023, streamed-up.com
1. Comprehensive Assessment of At-Risk Mental States
2. Structured Interview for Prodromal Symptoms / Scale of Prodromal Symptoms
3. Positive Symptoms and Diagnostic Criteria for the CAARMS Harmonized with the SIPS