Zweitmeinung Wider den Aktionismus beim Prostatakarzinom

Autor: Birgit Maronde

Ob ein Prostatakarzinompatient nach der Diagnosestellung behandelt wird, hängt auch von der noch zu erwartenden Lebenszeit ab.. (Agenturfoto) Ob ein Prostatakarzinompatient nach der Diagnosestellung behandelt wird, hängt auch von der noch zu erwartenden Lebenszeit ab.. (Agenturfoto) © RFBSIP – stock.adobe.com

Die Diagnose Prostatakarzinom ist natürlich ein Schock für jeden Mann. Dennoch sollte er sich nicht überstürzt auf eine Therapie einlassen, denn oft besteht gar kein Handlungsbedarf.

Jungen, die heute ein Jahr alt sind, haben eine Lebenserwartung von knapp 81 Jahren. Mehr als jeder Sechste (17 %) wird im Laufe seines Lebens ein Prostatakarzinom entwickeln. Zum Tod führt der Tumor aber nur in 3,4 % der Fälle. Dies bedeutet: „Eine überwältigende Zahl der Prostatakarzinome bedarf überhaupt keiner Behandlung“, erklärte Prof. Dr. Andreas Gross von der Urologie an der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg. Aus seiner Sicht legt das den Schluss nahe, dass sich Patienten, die die Krebsdiagnose erhalten, auf jeden Fall eine Zweit- oder sogar eine Drittmeinung einholen sollten, bevor ein Arzt „einfach drauflos“ operiert oder bestrahlt.

Risiko einschätzen, dass der Krebs zur Todesursache wird

Statistisch betrachtet stirbt ein Prostatakarzinompatient nach acht Jahren an seinem Tumor. Ob er nach der Diagnosestellung behandelt wird, hängt daher auch von der noch zu erwartenden Lebenszeit ab. Sie beträgt für einen 70-Jährigen im Durchschnitt 14,4 Jahre, für einen 80-Jährigen 8,1 Jahre. Ein 85-Jähriger hat nur noch eine statistische Lebenserwartung von 5,5 Jahren, d.h. die Gefahr, dass ihn ein Prostatakarzinom umbringt, ist äußerst gering. Ab diesem Alter sollte man nicht nur mit jedweder Therapie äußerst zurückhaltend sein, sondern auch mit der Diagnostik, forderte Prof. Gross.

Er berichtete von einem seiner Patienten, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden ist. Dessen Hausärztin hat bei ihm tatsächlich den PSA-Wert bestimmt. Wie nicht anders zu erwarten, lag er hoch, bei 16 ng/ml.

Zu therapeutischen Konsequenzen führt diese eigentlich unnötige Diagnostik nicht. Denn der Patient hat womöglich nur noch zwei bis drei Jahre zu leben.

Die aktuelle europäische Leitlinie sieht folgendes Vorgehen vor:

  • Ein Prostatakarzinomscreening sollte man nur Männern mit einer Lebenserwartung von wenigstens 10–15 Jahren anbieten.
  • Ein PSA-Test ist in der Regel erst ab dem Alter von 50 Jahren indiziert. Bei Männern ab 45 Jahren wird man ihn nur bei positiver Familienanamnese und/oder afrikanischer Abstammung durchführen.
  • Bei bekannter BRCA2-Mutation besteht die Indikation für einen PSA-Test bereits ab dem Alter von 40 Jahren.

Quelle: 17. Allgemeinmedizin-Update-Seminar