Mind the Gap Wie jungen Patienten der Übergang vom Pädiater zum Erwachsenenarzt gelingt

Autor: Tobias Stolzenberg

Der Übergang vom Pädiater zum Erwachsenenarzt sollte im Idealfall über zwei Jahre geplant und begleitet erfolgen. Der Übergang vom Pädiater zum Erwachsenenarzt sollte im Idealfall über zwei Jahre geplant und begleitet erfolgen. © Ljupco Smokovski – stock.adobe.com

Für die meisten Jugendlichen mit chronischer Erkrankung oder einer Behinderung steht spätestens mit dem 18. Geburtstag der Übergang in die Erwachsenenmedizin an. Das geht nicht immer reibungslos über die Bühne. Was kann man tun, damit der Arztwechsel gelingt?

Spätestens mit der Volljährigkeit müssen die meisten jungen Patienten ihrem Pädiater Lebewohl sagen und sich einen Erwachsenenarzt suchen. Schon für ansonsten gesunde Kinder und Jugendliche ist das kein leichter Schritt. Ganz besonders groß sind die Schwierigkeiten bei diesem Übergang aber für die vielen jungen Menschen, die mit einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung leben: Geschätzte 30 bis 40 % von ihnen kommen nicht lückenlos in der Erwachsenenmedizin an, beschreibt PD Dr. Gundula Ernst von der Medizinischen Hochschule Hannover im Podcast O-Ton Allgemeinmedizin. Diese Patienten tauchen oft erst wieder bei einem Arzt auf, wenn sich ihr Gesundheitszustand drastisch und womöglich dauerhaft verschlechtert hat – mit gravierenden Folgen für die Betroffenen selbst, aber auch für unser Gesundheitssystem und die Gesellschaft.

An diesem Punkt setzt die sogenannte Transitionsmedizin an, erläutert die Diplompsychologin. „Dabei geht es um den gesicherten, strukturierten Übergang der jungen Menschen von den Kinder- und Jugendärzten in die Erwachsenenmedizin.“ Ein großes Problem sieht Dr. Ernst darin, dass sich die Pädiater für gewöhnlich auf die Säuglinge und jüngeren Kinder konzentrieren, da würden die Jugendlichen schon einmal aus dem Blickfeld geraten. Und von alleine kommen Patienten in dieser Altersgruppe auch nicht: „Die sind froh, wenn sie nichts mit ihrer chronischen Erkrankung zu tun haben. Die wollen ganz normal sein, wie die anderen auch.“ Und die Eltern? „Die wissen zum Teil gar nicht, dass da ein Wechsel ansteht.“ 

Arztwechsel bereits ein Jahr im Voraus planen

Dr. Ernst empfiehlt Eltern, Patienten und Ärzten, das Thema schon früh anzugehen. „Bereits mit Eintritt in die Pubertät sollte der junge Mensch zunehmend Verantwortung für seine Erkrankung übernehmen.“ Dazu gehört, dass er gezielt seine sozialen Fähigkeiten trainiert, um etwa Gespräche mit dem Arzt oder dem Behandlungsteam auch alleine führen zu können. Den konkreten Arztwechsel selbst sollte man rund ein Jahr vor dem beabsichtigten Übergang systematisch zu planen beginnen. 

Dass die Jugendlichen und ihre Eltern dem Arztwechsel mit Sorgen gegenüberstehen und die notwendigen Entscheidungen von sich schieben, hält Dr. Ernst für ganz normal. „Teilweise haben die jungen Patienten und ihre Familien seit 18 Jahren eine sehr enge Beziehung zu ihrem Behandlungsteam. Sie kennen dort jeden, wissen wie die Abläufe sind, da entsteht einfach ein ganz enges Verhältnis.“ Sie hat gute Erfahrungen gemacht, den jungen Patienten durch gründliche Vorbereitung etwa in Rollenspielen die Ängste vor dem Wechsel und den neuen Ärzten zu nehmen. In einigen Kliniken gibt es hierzu Programme mit sogenannten Übergangssprechstunden, in denen der abgebende und der aufnehmende Arzt den Patienten gemeinsam sehen.

Insgesamt wünscht sich die Psychologin beim Thema Transition mehr Verbindlichkeit seitens des Gesundheitssystems und der Politik. Aus ihrer Sicht sollte der Wechsel der chronisch kranken und behinderten Kinder und Jugendlichen in die Erwachsenenmedizin eine verbindliche Regelleistung der Kostenträger sein. 

„Wir investieren ganz viel Zeit und ganz viel Geld, damit Kinder gesund erwachsen werden“, meint sie. Und dann werde es versäumt, die jungen Menschen bei recht gutem Gesundheitszustand und vergleichsweise hoher Lebensqualität gesichert und geordnet in die Erwachsenenmedizin zu geben. „Das finde ich ganz, ganz tragisch.“ Ab diesem Zeitpunkt könne es zudem richtig teuer für die Gesellschaft und für alle Beteiligten sehr belastend werden.

Als Vorbild gilt das Berliner Transitionsprogramm

Ideal wäre es, wenn die jungen Menschen über zwei Jahre rund um den geplanten Wechsel herum umfassend betreut werden, beschreibt die Expertin. Umgesetzt ist das heute schon im sogenannten Berliner Transitionsprogramm, bei dem ein speziell ausgebildeter Fallmanager engen Kontakt zu dem jungen Menschen hält. Das kann per Telefon geschehen, per App oder auch im direkten Gespräch. Der Mitarbeiter steht für Fragen zur Verfügung, verfolgt Termine nach und stellt sicher, dass der Jugendliche gut in der Erwachsenenmedizin ankommt. 

Der Transitionsprozess lässt sich aktiv gestalten, macht Dr. Ernst anhand zahlreicher anschaulicher Beispiele deutlich. Wie das gelingen kann? Das und mehr hören Sie in der neuen Folge unseres Podcasts – ab dem 13.6. 

Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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