Darmkrebsfrüherkennung Wunsch und Wirklichkeit liegen weit auseinander
Die Koloskopie gilt als eine der zuverlässigsten Methoden zur Früherkennung von Darmkrebs. Eine kürzlich veröffentlichte Studie stellt ihre Dominanz allerdings infrage, denn die Ergebnisse bleiben weit hinter den Erwartungen zurück.
Im Rahmen der randomisierten Studie Nordic-European Initiative on Colorectal Cancer wurden rund 85.000 Teilnehmende im Alter von 55 bis 64 Jahren rekrutiert. Zwischen 2009 und 2014 erhielt jeder Dritte von ihnen eine Einladung zur Koloskopie. Die anderen fuhren mit ihrer regulären Versorgung fort – ohne Screening. Primäre Endpunkte der Studie bildeten das Darmkrebs- und das daraus resultierende Mortalitätsrisiko nach zehn Jahren.
Eine Koloskopie konnte das Risiko eines kolorektalen Karzinoms um 18 % senken. Das absolute Risiko einer Erkrankung betrug in der zum Screening eingeladenen Gruppe 0,98 % im Vergleich zu 1,20 % in der Kontrollgruppe. Die Wahrscheinlichkeit, an Darmkrebs zu sterben, belief sich für beide Gruppen auf etwa 0,3 %. Die Autoren um Prof. Dr. Michael Bretthauer, Institute of Health and Society, University of Oslo, hatten sich mehr erhofft, denn die absoluten Risiken beider Endpunkte lagen deutlich unter den Ergebnissen vorangegangener Studien.
Nur 42 % der Eingeladenen waren zum Termin erschienen
Ein Screening sei allerdings „nur dann effektiv, wenn es auch durchgeführt wird“, kommentieren Prof. Dr. Jason Dominitz, University of Washington School of Medicine in Seattle, und Prof. Dr. Douglas Robertson, White River Junction Veterans Affairs Medical Center, in ihrem begleitenden Editorial. Das schwache Ergebnis lässt sich ihrer Meinung nach dadurch erklären, dass nur 42 % der Teilnehmer in der Screening-Gruppe ihren Termin wahrgenommen hatten. Eine Per-Protokoll-Analyse unter der Prämisse, dass alle Eingeladenen auch zum Screening erschienen wären, ergab eine Reduzierung des Darmkrebsrisikos um 31 % und der damit verbundenen Mortalität um 50 %. Diese Ergebnisse entsprachen eher denen vorheriger Kohorten, bestätigten die erwartete Überlegenheit gegenüber bspw. einer Sigmoidoskopie jedoch nicht.
Die Kommentatoren weisen auch auf die Qualität der Operateure hin: Fast ein Drittel von ihnen hatte eine Adenom-Detektionsrate, die unter dem empfohlenen Mindestwert von 25 % lag. Auch nationale Faktoren, wie z.B. die unterschiedliche Akzeptanz von Koloskopien, wirkten sich vermutlich auf die Ergebnisse aus. Zudem sei eine längere Follow-up-Zeit erforderlich, um alle Effekte des Screenings erfassen zu können. Eine erneute Auswertung der Daten ist nach 15 Jahren geplant.
Quellen:
1. Bretthauer M et al. N Engl J Med 2022; DOI: 10.1056/NEJMoa2208375
2. Dominitz JA, Robertson DJ. N Engl J Med 2022; DOI: 10.1056/NEJMe2211595