Ukrainekrieg „An der Front wird auf Europaletten operiert – es ist unvorstellbar!“
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine nimmt kein Ende. Was wird dort jetzt am meisten gebraucht?
Dr. Birgit Schorl-Schweikardt: Quasi alles. Im Moment erreichen uns zahlreiche Anfragen – für Medikamente, Verbandsmaterialien, Medizinprodukte, Nahrungsmittel und Dinge des täglichen Bedarfs, vor allem aber für medizinisches Material in der Akutversorgung. Auch wenn es in den Medien nicht mehr so präsent ist: Die Kämpfe gehen weiter. Die zahlreichen Verletzten, darunter auch viele Zivilisten, werden weiterhin unter sehr schwierigen Bedingungen versorgt. Die Ärzte an der Front zum Beispiel operieren auf Europaletten – es ist unvorstellbar.
Wie schätzen Sie die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung derzeit ein?
Die Situation für die Normalbevölkerung hatte sich in den ersten drei Monaten nach Kriegsbeginn exzessiv verschlechtert, weil es keine Medikamente mehr gab: keine Diabetesmedikamente, keine Antihypertensiva und vieles andere mehr. Das scheint jetzt wieder besser zu sein. Was aber schlimm ist: Es fehlen vernünftige Verbandsmaterialien.
Woher beziehen Sie Ihre Informationen über die dortigen Zustände?
Wir verfügen inzwischen über ein großes Netzwerk und erhalten Anforderungslisten von den Kliniken vor Ort. Wir schicken also nicht irgend-etwas, sondern das, was gebraucht wird. Die Listen reichen von chirurgischen Scheren über Klemmen bis zum Endoskopiegerät. Hauptsächlich werden auch IV-Antibiotika und Analgetika gebraucht. Da wir einige ukrainische Ärzte kennen, haben wir auch immer direkten Kontakt in die Ukraine – quasi auf kleinem Dienstweg. Es muss ja alles registriert sein – die Transporte müssen verzollt werden und sicher ans Ziel kommen.
Wie werden die Sachen vor Ort verteilt?
Da wir direkt mit ukrainischen Kliniken zusammenarbeiten, kommen die Sachen dort an, wo sie hin sollen. Wir konnten bisher über den gesamten Prozess aller Lieferungen die Kontrolle behalten – von der Abholung und dem Verpacken in Deutschland über die Fahrt zu den Grenzstellen bis zur Auslieferung an die jeweilige Klinik. Wir bekommen auch von jeder Aktion Feedback über die sozialen Medien. Unsere Helfer arbeiten alle freiwillig und ehrenamtlich – es gibt keine Korruption bei uns.
Wie können interessierte Ärzte in Deutschland Sie bei Ihrer Hilfe unterstützen?
Ein Kollege aus Nordrhein-Westfalen beispielsweise wollte seine gynäkologische Praxis auflösen und in den Ruhestand gehen. Wir erfuhren davon über Kollegen und haben eine Spedition beauftragt und einen Sattelzug dorthin geschickt. Die Praxiseinrichtung wurde fachgerecht verladen und von unseren Helfern direkt in die südukrainische Stadt Cherson geliefert, die gerade von der russischen Belagerung befreit worden war. Damit konnte man die dortige gynäkologische Praxis wieder gut ausstatten – die ukrainischen Kollegen hatten rein gar nichts mehr. Der Arzt in Deutschland hat im Anschluss eine Sachspendenbescheinigung erhalten. Die Kosten für die Abholaktion – allein für das Anmieten des Sattelschleppers haben wir ca. 2.000 Euro gebraucht – haben wir übernommen. Da wir monatlich mehrere Sattelzüge und Transporter benötigen, ist der finanzielle Bedarf natürlich immens. Irgendwann hat auch jeder im Landkreis gespendet.
Wie sieht es mit der Unterstützung durch deutsche Kliniken aus?
Vor wenigen Wochen waren wir im Altgerätelager des Heidenheimer Krankenhauses – und konnten es kaum glauben: Dort stehen Ultraschall- und Narkosegeräte, Liegen, Blutspendestühle, Infusionspumpen und mobile C-Bögen. Derzeit werden die Geräte geprüft. Anfang Dezember sollen sie in einer großen gemeinsamen Aktion mit der AWO auf zwei Sattelzügen an eine unserer Patenkliniken nach Saporischschja in der Südukraine geliefert werden und dort zum Einsatz kommen. Das ist super. Deshalb auch hier der Aufruf an alle deutschen Kliniken, ihre Altgerätelager durchzusehen und sich an uns zu wenden. Rettungsfahrzeuge – Löschzüge und RTW – wurden ebenfalls schon gespendet. Durch den Krieg ist so viel kaputtgegangen, und er wird wohl auch nicht morgen zu Ende sein. Die Menschen brauchen weiter unsere Hilfe.
Quelle: Medical-Tribune-Interview
Kontakt zum Hilfsverein: So können Sie helfen!
Als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich der gemeinnützige und mildtätige Verein „Heidenheim-fuer-Ukraine.de“ im März 2022 gegründet. Seither erfolgen fast jede Woche Hilfslieferungen in unterschiedliche ukrainische Regionen.
Auf Sachspenden, die abgeholt werden sollen, können Sie über folgenden Kontakt hinweisen:
Tel.: 0157 / 3683 1988
E-Mail: kontakt@heidenheim-fuer-ukraine.de
Für Geldspenden steht ein Spendenkonto zur Verfügung.
Empfänger: Rotary Hilfe e.V. Heidenheim-Giengen
IBAN: DE27 6329 0110 0338 2260 01
BIC: GENODES1 HDH
Verwendungszweck „UKRAINE“
Hier findet man den Verein im Internet:
www.heidenheim-fuer-ukraine.de
www.instagram.com/heidenheim.fuer.ukraine/