AOK drängt auf Nachbesserungen bei den Patientenrechten
Die Liste der Lücken und Vollzugsdefizite im Patientenrecht, die der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, benennt, ist lang. Sie resultiert u.a. daraus, dass sich jährlich rund 16 000 Versicherte wegen eines Verdachts auf Behandlungsfehler an die Ortskrankenkassen wenden. Die AOK unterstützt ihre Versicherten diesbezüglich seit dem Jahr 2000. In rund 4000 Fällen pro Jahr werden Gutachten beim Medizinischen Dienst beauftragt.
Die konkreten Vorschläge der AOK sind in einem 74-seitigen Positionspapier zusammengefasst. Die Liste der Vorschläge ist lang. Hier einige der Forderungen:
- Der Begriff des groben Behandlungsfehlers ist rechtlich ebenso zu definieren wie der Begriff der Patientenakte.
- Die Qualität medizinischer Sachverständigengutachten ist durch die Festlegung von Standards und Qualitätskriterien zu erhöhen.
- Der Aufklärungsbogen ist dem Patienten auszuhändigen. Unterlassungen müssen sanktioniert werden.
- Die Einsichtnahme in seine vollständige Akte ist dem Patienten unverzüglich zu ermöglichen. Verweigerungen müssen sanktioniert werden.
- Patienten müssen auch ohne Nachfrage über einen Behandlungs-/Pflegefehler vom Behandler informiert werden.
- Patienten müssen vom Behandler über den medizinischen und individuellen Nutzen von IGeL aufgeklärt werden.
Der AOK-Verband stützt sich bei den Forderungen auf die Ergebnisse einer bei YouGov beauftragten repräsentativen Umfrage. Demnach hat jeder vierte Bundesbürger seinen behandelnden Arzt schon einmal darum gebeten, Einsicht in seine Behandlungsunterlagen zu nehmen – 15 % dieser Patienten wurde die gewünschte Einsicht nach eigenen Angaben verweigert. Auch die Information der Patienten durch die Ärzte wird von den Befragten bemängelt.
87 % aller Befragten gehen davon aus, dass es für Ärzte keine einheitliche Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung besteht. Nur 44 % vermuten, dass es einen ausreichenden Versicherungsschutz gibt, der vollen Schadensersatz bietet. Und tatsächlich wird im Rahmen der Berufsordnung zwar eine solche gefordert, geprüft wird das Vorhandensein aber ebenso wenig wie die ausreichende Versicherungshöhe. Das gilt vor allem für Niedergelassene, in der Klinik sind Versicherungen in der Regel abgeschlossen.
Die AOK will ins Gesetz geschrieben sehen, dass Haftpflichtversicherungen für Behandler ebenso Pflicht sein sollen wie der Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung. Es dürfe nicht sein, dass der Arzt, der auf dem Arbeitsweg mit Auto einen Unfall verursacht, Schadensersatz leisten kann. Schädigt er aber in der Praxis einen Patienten, greift das nicht. Die Mindestversicherungssumme soll laut AOK auch analog zum Fahrzeug bei 7,5 Mio. Euro liegen müssen, für Direktansprüche und Nachhaftung. Die Ausübung des Berufs soll an die entsprechende Versicherung geknüpft werden.
Viele Patienten zögern laut YouGov-Umfrage, ihre Rechte bei vermuteten Fehlern in Anspruch zu nehmen, also dagegen vorzugehen. Gründe dafür sind in erster Linie: mögliche Kosten der Verfahren (73 %), mangelnde Kenntnis der Rechte (66 %) und lange Verfahrensdauer (47 %). Dass sich das Verhältnis zum Arzt verschlechtern könnte, spielt nur für 36 % der Befragten eine Rolle. Als „sonstige Gründe“ beschrieben wurde jedoch die Macht der Kliniken, geringe Erfolgsaussichten bei Klagen, die schwierige Suche nach einem unabhängigen Gutachter und die fehlende eigene Rechtsschutzversicherung.
Der Fachanwalt für Medizinrecht Jörg Heynemann, Berlin, kennt die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Patientenrechten aus dem eigenen Erleben vor Gericht. Er nennt zwei wesentliche Probleme. So sei die Höhe des Schmerzensgeldes in Deutschland nicht nur sehr gering, sondern auch willkürlich. Es gebe zwar „Richter, die sich viel Mühe geben und lange nachdenken“, aber manche Entscheidung sei Patienten nicht vermittelbar.
So wurde in ähnlichen Fällen zur Revision von Hüftendoprothesen – Austausch-OP und Rehamaßnahme – am Landgericht Freiburg ein Schmerzensgeld von 30 000 Euro ausgesprochen. Beim Landgericht Potsdam waren es 12 500 Euro und am Landgericht Berlin 18 000 Euro.
6000 Euro wurden einer Frau vom Gericht im Zuge eines Vergleichs angeboten. Bei ihr wurde nach Verschlechterung der Vitalwerte des ungeborenen Kindes ein Kaiserschnitt ohne Betäubung durchgeführt, weil kein Anästhesist verfügbar war. Das Vergleichsangbot sei fast beleidigend, meint der Jurist.
Willkürlich ist nach seiner Aussage auch die Einschätzung von Richtern und Gutachtern, ob es sich um einen groben Behandlungsfehler handelt, bei dem der Arzt beweisen muss, dass der Schaden nicht Folge eines Fehlers ist, oder ob es ein einfacher Behandlungsfehler ist, bei dem der Patient die Kausalität nachweisen muss.
Für die AOK-Gemeinschaft ist es deshalb zentral, das Beweismaß zugunsten betroffener Patienten zu senken, Maßnahmen umzusetzen, die die Verfahrensdauer verkürzen, und Patienten die Sicherheit zu geben, dass der erlittene Schaden am Ende reguliert wird. Unterstützt wird dies von Sabine Dittmar, Ärztin und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag. Sie goutiert das von Union und FDP 2013 beschlossene Patientenrechtegesetz. „Mit Blick auf die Situation der Opfer von Behandlungsfehlern dürfen wir uns mit dem Status quo nicht zufriedengeben“, sagte sie jedoch. Nach wie vor gebe es für Patienten zu hohe Hürden, um im Schadensfall eigene Rechte durchsetzen zu können. Zudem verwies sie auf die Gesetzgebung, wo oft auch in Patientenrechte eingegriffen werde, wie im geplanten Digitale-Versorgung-Gesetz.
Politische Opposition unterstützt das Vorhaben
Die Verbesserung der Patientenrechte ist im Koalitionsvertrag verankert, aber das Thema wurde bisher nicht aufgerufen. Die SPD werde die Gespräche dazu mit dem Koalitionspartner aufnehmen, kündigte Dittmar an. Sie erneuerte zugleich die SPD-Forderung nach einem Härtefallfonds für geschädigte Patienten.
Unterstützung kommt aus der Opposition. Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik bei den Grünen, fordert Strukturen der Fehlervermeidung in den Gesundheitseinrichtungen. Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr sowie Sanktionsmöglichkeiten im Fall von Behinderungen der Ermittlung sind laut Sylvia Gabelmann, Sprecherin für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte der Linken-Fraktion, nötig.
Pressekonferenz des AOK-Bundesverbandes