Pharmazeutische Dienstleistungen Apotheker in fremdem Revier

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Die Arzneimittelprüfung und Medikationsplanung sind mit 80 Minuten veranschlagt. (Agenturfoto) Die Arzneimittelprüfung und Medikationsplanung sind mit 80 Minuten veranschlagt. (Agenturfoto) © iStock/gorodenkoff

Die neuen Beratungsleistungen in den Apotheken stoßen bei Vertretern der Ärzteschaft auf Unverständnis und harsche Kritik. An die Kassen geht der Wunsch, die EBM-Vergütungen entsprechend zu erhöhen. Bundes­ärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt fordert den ­Gesetzgeber auf, die Regelungen ersatzlos zu streichen.

Mit dem Vor-Ort-Apothekengesetz haben Jens Spahn und die GroKo den Ärzten 2020 ein Ei ins Nest gelegt, aus dem – nach Bebrüten im Schiedsverfahren – nun fünf „pharmazeutische Dienstleistungen“ (pDL) geschlüpft sind. „Das ist ein Meilenstein für die Patientenversorgung“, freut sich ­ABDA-Präsidentin Gabriele ­Regina Overwiening. „Mit den neuen Leistungen können wir Versorgungsdefizite beheben und die Effizienz der individuellen Arzneimitteltherapie verbessern.“ Vertreter von KVen, Ärztekammern und -ver­bänden äußern sich dagegen vernichtend. Ihre Kernklagen sind:

  • Das Angebot ist überflüssig. Was die knapp 19.000 Apotheken tun sollen, bieten auch 150.000 Haus- und Facharztpraxen an. BÄK-Präsident Dr. Reinhardt fordert eine gesetzliche Nachbesserung bzw. Streichung der pDL-Regelungen.
  • Wie viele Ärztevertreter meint auch Dr. Carola Reimann, Vorstandschefin des AOK-Bundesverbandes: Die Honorare stünden in keinem Verhältnis zu den Vergütungen für entsprechende Leistungen der niedergelassenen Ärzte.
  • Mediziner bezweifeln, dass die Apotheker kompetent helfen können. Der Vorsitzende des Hessischen Haus­ärzteverbandes, Armin Beck, warnt: „Apotheker können die Indikation und Kontraindikation im speziellen Fall gar nicht berücksichtigen, da ihnen viele Informationen zu Vorerkrankungen und Laborwerten fehlen.“ Sinke bei ­verunsicherten Patienten die Einnahmebereitschaft, könnten gefährliche Einnahmepausen entstehen. KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister spricht von einem „fundamentalen Angriff auf die hausärztliche Versorgung“.

Wenn beim Medikationsmanagement neben Krankenhäusern und Fachärzten auch noch die Apotheker verstärkt mitmischen, werde die Versorgung weiter zerstückelt, klagt Ulrich Weigeldt, Bundeschef des Haus­ärzteverbandes. Und wie Weigeldt thematisiert auch der Chef von Medi Geno Deutschland, Dr. Werner Baumgärtner, den politischen Hintergrund der Regelungen: „Es wird versucht, mit Ideologie die ambulante Versorgung von Ärztinnen und Ärzten auf andere Heilberufe zu verlagern – ohne Sachverstand und Rücksicht auf die Versicherten.“

Frank Dastych und Dr. ­Eckhard Starke, die Vorstands­chefs der KV Hessen, ärgern sich unverhohlen über „die nächste Aufführung aus dem Tollhaus Gesundheitspolitik“. In einer Pressemitteilung schreiben sie: „Getreu dem Motto ,Wenn ich schon kein Geld habe, dann kann ich es auch zum Fenster hinauswerfen‘ setzt die Politik ein weiteres Mal ein fatales Signal Richtung Ärzteschaft. Denn stärker kann man die Missachtung eines gesamten Berufsstandes nicht dokumentieren.“

Ihr Kollege Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KV Baden-Württemberg, kündigt als Sanktion an: „Wir werden unseren Mitgliedern empfehlen müssen, dass sie den Patienten raten, sich am besten an eine Onlineapotheke zu wenden. Da bekommen sie das gleiche Arzneimittel, zudem noch schnell und barrierefrei, werden dann aber wenigstens nicht noch zusätzlich, möglicherweise falsch und schädlich von jemandem beraten, der in dieser Thematik nicht bewandert ist.“

Einig sind sich Ärztevertreter in ihrer Forderung an die Kassen nach entsprechend höheren Vergütungen. „Die Fachärzteschaft betrachtet dies definitiv als Signal und Marschrichtung für die kommenden Honorarverhandlungen“, teilt der Chef des Spitzenverbandes Fachärzte (SpiFa), Dr. Dirk Heinrich, mit. In seiner Funktion als Bundesvorsitzender des Virchowbundes vergleicht Dr. Heinrich die Honorare so: Für das dreimalige Blutdruckmessen würden die Apotheken aufgrund der Schiedsentscheidung mit 11,20 Euro beinahe doppelt so viel erhalten wie ein niedergelassener Arzt für eine Langzeit-Blutdruckmessung über mindestens 20 Stunden inklusive Auswerten und Beurteilen des Befundes (6,42 Euro). Bei der „erweiterten Medikationsberatung bei Polymedikation“ stellt der Hamburger HNO-Arzt eine Diskrepanz von 90 zu 4,39 Euro fest.

Der gut informierte Apotheken-Newsletter „apotheke adhoc“ zitiert aus dem Schiedsspruch. Demnach liegt der Kalkulation der EBM zugrunde und unter Beachtung der Preisentwicklung wurde pro Minute 1,17 Euro angesetzt. Sofern pDL auch von Pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) übernommen werden können, wurde die Vergütungshöhe reduziert.

Die pDL-Honorare

Die „erweiterte Medikationsberatung“ bei Patienten mit mindestens fünf Arzneimitteln in Daueranwendung wird Apothekern mit 90 Euro honoriert (einmal alle zwölf Monate). Für eine pharmazeutische Betreuung bei oraler Tumortherapie oder nach Organ­transplantation sind ebenfalls 90 Euro abrufbar – plus 17,55 Euro für ein Folgegespräch nach zwei bis sechs Monaten. Für diese Leistungen sind zunächst Fortbildungen nach den Vorgaben der Bundesapothekerkammer zu absolvieren. Eher Aufgaben fürs pharmazeutische Personal sind: Asthmatikern ab sechs Jahren wird die korrekte Anwendung eines Inhalativums erklärt (20 Euro). Hypertoniker, denen der Arzt mindestens einen Blutdrucksenker verschrieben hat, können sich einmal alle zwölf Monate den Blutdruck messen und dazu beraten lassen (11,20 Euro).

Beispiele: Für die „erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ wurde ein Honorar von 90 Euro bei einem kalkulierten Aufwand von 80 Minuten festgesetzt. Das Prüfen der vom Patienten einzureichenden Unterlagen und die daraus folgende Arzneimittelerfassung und Therapiesicherheitsprüfung durch einen Apotheker mit dem Entwickeln bzw. Anpassen einer Medikationsplanung seien sehr zeitaufwendig, bezieht sich apotheke adhoc auf den Schiedsspruch. Das Inhalationstraining werde dagegen bei einer geschätzten Dauer von 25 Minuten mit 20 Euro bewertet, weil die Schiedsstelle davon ausgehe, dass 80 % der Leis­tung von PTA erbracht werden und nur 20 % auf Apotheker entfallen.

Für die pDL sieht der Gesetzgeber ein jährliches Volumen von rund 150 Mio. Euro vor. Gezahlt wird über den Nacht- und Notdienstfond. Das Geld kommt von der GKV, die bei rezeptpflichtigen Fertigarzneimitteln 20 Cent pro Packung mehr blecht.

150 Mio. Euro gleichmäßig verteilt auf 13.610 Apotheken und 4.752 Filialen (1. Quartal 2022) ergibt durchschnittliche Einnahmen von 8.170 Euro. Die „Deutsche Apotheker Zeitung“ berichtet allerdings von einer „Priorisierung“: Reicht das Geld nicht für alle im Quartal erbrachten pDL, greift eine Garantiezusage von bis zu 1.000 Euro. Dann werden zeitlich umfangreichere pDL bei der Auszahlung bevorzugt und bei den einfachen Leistungen wird gekürzt.

Der GKV-Spitzenverband prüft den Schiedsspruch „genau“. Vor Abschluss dieser Prüfung könne er sich nicht zum weiteren Vorgehen äußern, hieß es knapp auf MT-Anfrage. Eine mögliche Klage müsste innerhalb einer vierwöchigen Frist erhoben werden. Sie hätte allerdings keine aufschiebende Wirkung.

AOK-Verbandschefin Dr. Reimann dämpft derweil die ärztlichen Erwartungen an die Honorarverhandlungen: „Angesichts der dramatischen Finanzlage der GKV gibt es aktuell keinen Spielraum für finanzielle Wohltaten, weder in Richtung der Apotheken noch in Richtung der Arztpraxen.“ Mit der Schlussfolgerung, die Leistungen der niedergelassenen Ärzte seien unterfinanziert, lägen die Ärzteverbände aber „komplett falsch“.

Medical-Tribune-Bericht