Gesetzesturbo Auf dem Weg zum Mond?
Hätten die 70.000 hiesigen Apotheker Trecker, würden sie vermutlich eine Protest-Sternfahrt nach Berlin planen. Tatsächlich werden sie mit Kampagnen und fußläufig ihre Warnungen und Forderungen kundtun.
Den Referentenentwurf für das Apothekenreformgesetz bezeichnet ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening als „Mogelpackung, Etikettenschwindel und Trojanisches Pferd“. Die „chronische Unterfinanzierung“ des Apothekenmarktes werde nicht angepackt.
Der BMG-Entwurf des ApoRG sieht Umschichtungen der Apothekenvergütung zugunsten von Standorten in strukturschwachen Regionen vor. Öffnungszeiten sollen flexibilisiert, die Gründung von Filial- und Zweigapotheken erleichtert werden. Bei PTA vor Ort, die „telepharmazeutisch“ mit einem Apotheker im Filialverbund in Kontakt sind, reiche es, wenn die die Apothekenleitung mindestens acht Stunden pro Woche persönlich anwesend sei. Die Hochrechnung des BMG, was die Apotheker auf diese Weise an Gehältern, Miete und Kosten für technische Ausstattung sparen können, überzeugt die ABDA-Präsidentin nicht.
Mit dem GKV-Gutschein zur Beratung in die Apotheke
Der KBV-Vorstand warnt vor einer „Deprofessionalisierung im großen Stil“. Ihn stört auch, dass die Apotheker dauerhaft zur Durchführung von weiteren Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen bei Erwachsenen berechtigt werden sollen. Bislang sind Impfungen gegen Corona und Grippe erlaubt. Da es mit dem Setzen einer Spritze nicht getan ist, müssen die Apotheker vorher erfolgreich eine ärztliche Schulung absolvieren.
Der Referentenentwurf zum Gesundes-Herz-Gesetz geht noch einen Schritt weiter. Das BMG will Versicherte durch ihre Krankenkasse für Check-ups im Alter von 25, 35 und 50 Jahren einladen lassen. Der hierbei mitgeschickte Gutschein kann für eine Beratung sowie Messungen zu Risikofaktoren (z.B. Diabetes) in Apotheken verwendet werden. Hinzu kommen zwei weitere pharmazeutische Dienstleistungen: eine jährliche Beratung mit Messungen zu Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus sowie eine jährliche Beratung mit Kurzintervention zur Prävention tabakassoziierter Erkrankungen.
Allerdings: Bislang wurden laut AOK-Bundesverband 380 Mio. Euro für pharmazeutische Beratungen nicht abgerufen. Verbandschefin Dr. Carola Reimann schlägt deshalb vor, den Topf an die Kostenträger zurückzugeben. Die Leistungen sollten dezentral vereinbart und direkt mit der Kasse abgerechnet werden.
Keine Medikamentenvergabe per Gießkannenprinzip
Für seine Pläne, wie kardiovaskuläre Erkrankungen zu vermeiden sind, muss sich Prof. Karl Lauterbach viel Kritik anhören. „Unverständnis“ äußert der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) über die Absicht, „die Verschreibung von Statinen entgegen den bisherigen Leitlinien deutlich auszubauen“. BHÄV-Chef Dr. Wolfgang Ritter ist empört: „Prävention per Rechtsverordnung und Maßnahmen wie eine Absenkung der Grenzen für eine präventive Statingabe ohne wissenschaftliche Evidenz sind ein ungewöhnliches Vorgehen eines Gesundheitsministers. Die Pharmaindustrie wird sich freuen, wenn eine Großzahl davor gesunder Patienten jetzt plötzlich als therapiebedürftig eingestuft wird.“
Auch der Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HÄV) lehnt „mehr Tests und eine Medikamentenvergabe per Gießkannenprinzip“ ab. Die Primärprävention, mit Fokus auf gesunden Lebenswandel, Adhärenz sowie familiäre und sozio-ökonomische Faktoren, sei zu fördern.
Weiter gediehen als die jüngsten Referentenentwürfe sind das Krankenhaus- und das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). Hier hat die erste Lesung im Bundestag stattgefunden. Aber in Stein gemeißelt sind sie noch nicht.
Die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Prof. Dr. Kerstin von der Decken (CDU), hält es für unerlässlich, vor Verabschiedung des KHVVG eine Auswirkungsanalyse zu erstellen, um zu verstehen, wie das Gesetz die Kliniklandschaft verändern wird. Sie gibt sich optimistisch, dass die Forderungen der Bundesländer noch ins Gesetz aufgenommen werden – ansonsten würden die Länder den Vermittlungsausschuss anrufen.
Der politische Druck, eine Reform hinzubekommen, bleibt jedenfalls hoch. Laut Krankenhausrating-Report erwarten 70 % der Kliniken für 2024 ein negatives Ergebnis, 80 % tun das für 2025.
Im Fall des GVSG hat sich der Gesundheitsausschuss des Bundesrates Mitte Juni dafür ausgesprochen, doch wieder Regelungen zu Gesundheitskiosken, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren aufzunehmen. Das wäre auch im Sinne von AOK-Bundesverbandschefin Dr. Reimann, die den vorliegenden Gesetzesentwurf um aller innovativen Versorgungselemente beraubt sieht.
Sie klagt, beim GVSG handele es sich jetzt „um eine schlichte Honorarreform für Hausärzte, die Mehrkosten von mindestens 300 Millionen Euro verursacht“, ohne dass die Patienten positive Versorgungseffekte davon hätten. Mengenausweitungen seien hier noch gar nicht eingepreist. Es profitierten Ballungsräume wie Hamburg und Berlin. Durch die quartalsübergreifenden Pauschalen drohe eine gefährliche Ausdünnung der hausärztlichen Kontakte von chronisch Kranken.
Woher kommt das Personal für die Notdienstpraxen?
„Die Krankenkassen, die offensiv gegen die Stärkung der Hausarztpraxen lobbyieren, nehmen billigend in Kauf, dass eine Hausarztpraxis nach der anderen dicht macht“, hält der Vorstand des HÄV dagegen. Er drängt darauf, dass im parlamentarischen Verfahren der „Fehler“, den 30-Euro-Bonus für HzV-Teilnehmer aus dem Gesetzentwurf zu streichen, „erkannt und korrigiert wird“.
Ein Scheitern sagt der Hausärztinnen- und Hausärzteverband dagegen der Notdienstreform voraus, wenn diese wie im Referentenentwurf vorgesehen umgesetzt werden soll. „Woher soll das Personal kommen, das die 24/7-telemedizinische und aufsuchende notdienstliche Versorgung sicherstellen sowie nach Dienstschluss noch die geplanten Notdienstpraxen mitbesetzen soll?“ DGIM, DGIIN und BDI haben acht Vorschläge zur Änderung des Entwurfs formuliert, damit die Reform keine Bruchlandung wird.
Schließlich steht dem Gesundheitsminister der Sinn sowieso eher nach Mondlandungen. Mit dem Medizinforschungsgesetz – Stichworte: Geheimpreise für neue Arzneimittel und Einführung einer Bundesethikkommission beim BfArM – verfolgt die Ampel eine „Moonshot-Strategie“. Die Auswertung von Anträgen für klinische Studien soll künftig auf 26 Tage befristet sein. „Dann ist der Moonshot erreicht“, so Prof. Lauterbach. Spricht‘s und eilt sogleich – unbeeindruckt vom Chor der Kritiker – von einem Reform-Meilenstein zum nächsten.