Berlin probt für den Fall eines bioterroristischen Anschlags

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Bewaffnete Spezialkräfte der Polizei während der Übung „Wunderbaum“ zur Bewältigung eines bioterroristischen Anschlags in der Trainingsstadt „Fighting City“.  Bewaffnete Spezialkräfte der Polizei während der Übung „Wunderbaum“ zur Bewältigung eines bioterroristischen Anschlags in der Trainingsstadt „Fighting City“. © Kolbeck/Roland

Bernd Schmidt fühlt sich schlecht. So schlecht, dass er den Notarzt ruft. Kurze Zeit später ist er tot. Andere Patienten entwickeln gleiche Symptome. Polizei und Seuchenexperten werden hinzugezogen. Der Verdacht: ein bioterroristischer Anschlag. Dies führt zu einem gigantischen Szenario mit vielen Beteiligten. Eine entsprechende Übung in Berlin lockte sogar internationale Beobachter wie das FBI an.

Am zweiten Tag der Operation „Wunderbaum“ rollten die Busse mit Journalisten und Fotografen auf das Polizeiübungsgelände nahe der Berliner Waldbühne und des Olympiastadions. (Der Name Wunderbaum soll auf Ricinus communis verweisen, dessen Samenschalen das Gift Rizin enthalten.) Die Erwartungen der Medienvertreter waren groß. Allerdings gewährten die Veranstalter ihnen nur wenige Einblicke. Alles geheim, hieß es. Schließlich sollen Terroristen nicht erfahren, wie in einem Fall von Bioterrorismus konzertiert vorgegangen wird.

Eingeladen hatte zur Übung der Polizeipräsident von Berlin. Mit dabei: die Senatsverwaltung für Gesundheit, das Gesundheitsamt, das Robert Koch-Institut (RKI), das Bundes­kriminalamt (BKA), die Bundespolizei, die Berliner Feuerwehr und die Charité. Am ersten Übungstag war in Vorträgen über Bioterrorismus aufgeklärt worden. Im Haus der Gesundheitssenatorin hatte es zudem eine Lagebesprechung gegeben, wobei der Krisenstab nicht vorab informiert war.

Lungenpest

Laut RKI entwickelt sich von allen Formen der Pest die Lungenpest am schnellsten. Sie beginnt plötzlich mit Schüttelfrost, Fieber, Kopfschmerzen, Myalgien, Abgeschlagenheit und Schwindel. Pulmonale Zeichen, wie Husten mit dünnflüssigem, blutig-serösem Auswurf, Thoraxschmerzen, Tachypnoe und Dyspnoe, treten typischerweise am zweiten Tag der Erkrankung auf. Auch gastrointesintale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall können beobachtet werden. Als Therapie werden Antibiotika eingesetzt – innerhalb von 24 Stunden nach den ersten Symptomen beginnend und mit 10 bis 14 Tagen Dauer. Bei massiver Exposition im Fall eines bioterroristischen Anschlags sind unter Umständen Modifikationen der Chemoprophylaxe erforderlich.

Quelle: Robert Koch-Institut bit.ly/2z1NDt1

Infektionsrettungswagen bringt Täter in die Charité

Das Szenario ging von weiteren Krankheits- und Todesfällen aus. Die Ermittler fanden heraus, dass all diese Personen zwei Tage zuvor dieselbe Fotoausstellung besucht hatten. Ein Fingerabdruck und eine Vorrichtung zum Ausbringen von Giftstoffen führte schließlich zu einem provisorischen Labor in einer Wohnung (auf dem Übungsgelände), die dann von besonders geschützten Spezialeinheiten – darunter auch die GSG 9 – gestürmt worden war. Vorgefunden wurde ein Tatverdächtiger mit gleichen Krankheitssymptomen sowie ein Toter. Notfallsanitäter des Infektionsrettungswagens Brandenburg fuhren den erkrankten vermeintlichen Täter unter weiteren Sicherheitsvorkehrungen in die Charité zur Behandlung. Die „Leiche“ wurde zur Obduktion in die Charité gebracht. Da sich in der Wohnung ein verdächtiger Gegenstand befand, wurde neben Kriminaltechnikern auch die „Analytische Task Force“ (AFT) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe angefordert. Die ATF ist im Einsatz bei Gefahren durch radioaktive, biologische oder chemische Stoffe (CBRN-Gefahren). Proben zur Erregeridentifikation aus der Wohnung – sog. Prio-Spuren – wurden ins Sicherheitslabor des RKI geschickt, ebenso eine „tote Ratte, weiß“. Die Labortests ergaben schließlich, dass es sich bei den Erregern um die der Lungenpest handelt – Rizin stand ursprünglich in Verdacht. Wie die Erstversorgung von möglicherweise Infizierten aussieht, wurde den Journalisten im Schnelldurchlauf durch die aufgebauten Dekontaminationszelte gezeigt. In diesen ist es warm und feucht. Im ersten Zelt müssen sich betroffene Personen vorsichtig, damit nicht weiter kontaminiert wird, und vollständig entkleiden. Im zweiten Zelt werden sie mit einer Lösung aus Wasser und einprozentiger Peressigsäure eingesprüht, Einwirkzeit eine Minute bis alle Erreger auf der Haut abgetötet sind. Im dritten Zelt folgen das Abduschen der Lösung und die Reinigung. Im letzten Zelt erhalten die Kranken Ersatzkleidung und sie werden registriert. Der letzte Schritt bildet den Übergang in den Bereich der medizinischen Rettung. Die Zuständigkeit für die medizinische Versorgung liegt bei der Amtsärztin, die in Absprache mit dem RKI agiert.

Gefahrenabwehr und Strafverfolgung koordinieren

Bei der Übung ging es um ein enges Zusammenspiel im Ernstfall, um Abläufe, Kommunikation, Spurensicherung und -auswertung und medizinische Beratung. Verschiedene Interessen waren zu verknüpfen. Wie Susanne Bauer, Leiterin Kriminaltechnischer Einsatzdienst im BKA, erklärt, handelt es sich „sowohl um die Gefahrenabwehr als auch um die Strafverfolgung“. Als Beobachter nach Berlin gekommen waren internationale Experten – u.a. vom FBI aus den USA. Schiedsrichter verfolgten mit Kamera das Geschehen und Videotechniker dokumentierten alles für die spätere Auswertung. Am dritten Übungstag stand auf dem Programm, einen bioterroristischen Angriff zu verhindern. Hinweise auf den Computern der Täter hatten auf einen bevorstehenden Anschlag hingewiesen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärte dazu, dass es derzeit keine konkrete Bedrohung für Berlin gebe. „Aber wir befinden uns in einer angespannten Situation.“ Das aktuelle Worst-case-Szenario füge sich in eine Reihe von Übungen ein, u.a. am Bahnhof Lichtenberg, am Flughafen Tegel und am Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums. Die Eigensicherung der Rettungkräfte steht dabei immer auch im Fokus. Die Erfahrungen belegten, so Geisel, dass Fehler in Einsätzen nur durch Üben vermieden werden.

Gesundheitsämter müssen ran

Bei der Übung „Wunderbaum“ ging es um den Einsatz biologischer Waffen, was laut Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) europaweit einzigartig war. Neben der Charité waren Gesundheitsämter und das Robert Koch-Institut gefragt. „Es ist wichtig, dass die Gesundheitsämter schnell vor Ort sind, um dafür zu sorgen, dass die Opfer gut versorgt werden und sich die Erreger nicht weiter verbreiten“, so die Senatorin. Alle 200 identifizierten Besucher der Ausstellung seien im Szenario von Vertretern des Gesundheitsamtes aufgesucht und behandelt worden und ein Krisentelefon wurde eingerichtet. Auch die Einbeziehung der Vertragsärzte, z.B. zur Postexpressionsprophylaxe, werde von den Gesundheitsämtern koordiniert. Die Senatorin hofft, dass die Ergebnisse der Übung „Wunderbaum“ eine Blaupause für andere Bundesländer sein werden.

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Üben der Dekontamination von Personen, nachdem – so das Szenario – ein Giftstofflabor gestürmt wurde.
Üben der Dekontamination von Personen, nachdem – so das Szenario – ein Giftstofflabor gestürmt wurde. © Kolbeck/Roland