Praxiskolumne Cool, sexy – und evidenzbasiert

Autor: Dr. Nicolas Kahl

Das Gegengewicht muss die kritische Diskussion von Studiendaten sein – zeitgemäß aufbereitet Das Gegengewicht muss die kritische Diskussion von Studiendaten sein – zeitgemäß aufbereitet © ViDi Studio - stock.adobe.com

Das Fach der Allgemeinmedizin kämpft gerade ganz schön damit, sich für den Nachwuchs nicht wirklich „cool und sexy“ präsentieren zu können. 

Oft geben wir das Bild ab von „Spielverderbern“, die die Leitlinien der Gebietsfachärzte sehr kritisch diskutieren und versuchen, hausärztliche Akzente zu setzen, die eher pharmakritisch sind. Wirklich heroische Momente erleben wir dann vielleicht mal im Praxisalltag – wenn wir unnötige L-Thyroxin-Medikationen absetzen, statt superteure neue Medikamente mit fraglicher Sinnhaftigkeit z.B. zur Lipidsenkung anzusetzen.

Und dann hat es BAM gemacht in Deutschland! Und dabei spreche ich nicht von der wiedererwachten Fußballeuphorie zur Europameisterschaft, sondern von der Euphorie, die von dem in diesem Jahr erstmalig ausgerichteten Bundesfortbildungskongress Allgemeinmedizin (BAM) in Berlin ausging: Ein moderner, fachlich super hochwertiger und „cool und sexy“ aufgemachter Kongress der Allgemeinmedizin, der richtig „Bock“ macht auf Hausarztmedizin. Mit spannenden interaktiven Update-Formaten, Live-Podcasts, Notfall-Schulungen in der Pausenhalle, sodass einem im Vorbeigehen fast ein Tubus an den Kopf fliegt. Mit bunten Praxis-Teams aus ganz Deutschland, mit motivierten Ärztinnen und Ärzten, mit Weiterbildungassistent:innen und mit vielen MFA, die sich dort im Team fortgebildet haben. Auch meine Praxis ist angereist, mit dem gesamten Ärzt:innen-Team, und alle haben die Chance genutzt, sich in die hausärztliche Community einzugrooven und sich zu vernetzen.

Die abendliche Podiumsdiskussion mit politischen Vertretern machte deutlich: Diese junge Allgemeinmedizin ist motiviert und „hat Bock“, die Versorgung zu gestalten. Die Politik ist gut beraten, hinzuhören, mit welchen Hürden die frisch Niedergelassenen kämpfen – anstatt immer neue Nebelkerzen wie die Gesundheitskioske anzuzünden.

Bislang hatten die pharmafreien Fortbildungen und Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und des Instituts für Hausärztliche Fortbildung (IHF) des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes ja damit zu kämpfen, dass für „coole und sexy“ Kongresse ein zu geringes Budget vorhanden zu sein schien. Man seufzte dann manchmal schon, wenn Kollegen von kardiologischen Kongressen berichteten, auf denen „richtig viel geboten“ wurde. Auf diesem Kongress war der Austausch über evidenzbasierte Medizin aber auf einmal „cool und sexy“ – und gar nicht nerdy. 

Die Allgemeinmedizin ist jung und motiviert

Mit guten Fortbildungsformaten können wir die nachwachsenden Ärztegenerationen für die Allgemeinmedizin begeistern. Hier können die Inhalte zum Thema werden, die zu den relevanten gesellschaftlichen Diskussionen führen: Warum sollen wir immer mehr Statine verschreiben, Herr Lauterbach? Warum sollen wir laut dem „Gesunde-Herz-Gesetz“ bald bei Kindern nach einer Hypercholesterinämie screenen? Warum werden medizinische Empfehlungen einer eher pharmanahen European Society of Cardiology in ein Gesetz gegossen, anstatt sich bei fachübergreifendem Dissens bezüglich Cholesterinsenkungszielen eher zurückzuhalten?

Kritische Geister fragen seit Langem, wie pharmanah Gesundheitsminister Prof. Karl „Reibach“ selbst eigentlich ist bei so viel pharmafreundlicher Politik. Man könnte zum Beispiel sich für mehr Sport in Schulen, eine Zuckersteuer und ein Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel einsetzen. Aber Lauterbach macht sich stark für immer mehr Cholesterinsenker. Wird man bald ernsthaft darüber diskutieren, Statine ins Trinkwasser zu mischen? Das notwendige Gegengewicht zu einer solchen Tendenz kann nur die kritische Diskussion von Studiendaten sein – und zwar: zeitgemäß, interaktiv und interessant aufbereitet. Daher: Danke, BAM, für diesen evidenzbasierten coolen Input!

Ihr 
Dr. Nicolas Kahl