Diagnose per Video und durch die Hose?

Kolumnen Autor: Dr. Günter Gerhardt

Via Videotelefonie werden Symptome gecheckt, AU-Bescheinigungen und Rezepte ausgestellt. Via Videotelefonie werden Symptome gecheckt, AU-Bescheinigungen und Rezepte ausgestellt. © iStock/KatarzynaBialasiewicz; MT

Wie vertrauenvoll kann ein Arztgespräch mit Callcentern sein? Und wie sicher ist die Diagnose per Videosprechstunde? Über die Grenzen der Telemedizin.

Was erregt die Gemüter der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Anfang des Jahres 2020 am meisten? Ein großer Aufreger sind „die Elfen, die helfen“. Seit Januar hilft die 116117 rund um die Uhr, nicht nur akut im Erkrankungsfall, sondern auch bei der Suche nach einem Termin bei einer Ärztin / einem Arzt jedweder Fachrichtung. Hierfür hält der Patient bereits eine Überweisung in den Händen. Oder er absolviert eine qualifizierte Ersteinschätzung (mithilfe der Software „SmED“), über die er in die richtige medizinische Versorgungsebene geführt werden soll.

Ein massives Anrufaufkommen in den ersten Januartagen zeigt, dass Begehrlichkeiten geweckt wurden. Es kam zu erheblichen Wartezeiten – in Warteschleifen, bei der Ersteinschätzung, in den Bereitschaftspraxen oder auf einen Hausbesuch. Leitungen brachen zusammen. Fazit: Die Verknüpfung der Nummern des ärztlichen Bereitschaftsdienstes mit dem Terminservice der KV hat vielerorts zu chaotischen Zuständen geführt. Trotzdem finden Patienten es ganz toll, was diese 116117 alles kann. Und: „Herr Doktor, das ist ja noch längst nicht alles, in Zukunft werden mir die Krankmeldung und die Rezepte aufs Handy geschickt!“

Für Aufregung sorgten auch Äußerungen von Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand des GKV-Spitzenverbands. Sie hat einen Modernisierungsschub in den Arztpraxen gefordert. Sie meint damit die Digitalisierung für die Verbesserung der Patientenversorgung: Das Gespräch zwischen Arzt und Patient, ein Herzstück der Versorgung, könne auch in Video­sprechstunden geführt werden.

Von welchen Gesprächen sprechen Sie, sehr geehrte Frau Stoff-Ahnis? Spielt es für Sie keine Rolle, ob der Patient beispielsweise mit dem Arzt die Umstellung seines Lebensstils oder seine Ängste, Sorgen, Nöte und Stimmungsschwankungen unter vier Augen besprechen will? Dass Ärzte ihre Patienten zu bestimmten Fragestellungen auch telefonisch beraten, ist nichts Neues. Aber: Arzt und Patient kennen sich, erkennen sich an der Stimme. Wenn Ärztinnen und Ärzte in einem Callcenter für eine Krankenkasse Patienten beraten, hat das mit dem geschilderten vertrauensvollen Gespräch am Telefon nichts zu tun. Interessant nur, dass diese Gespräche sehr lukrativ sind, weil diese Beratungszeit im Gegensatz zur Beratung in der Praxis ausreichend bezahlt wird. Da kann man sich doch nur verwundert die Augen reiben, oder?

Neuerdings werden als Pilotprojekt Mitarbeiter einer Krankenkasse per Videosprechstunde fernbehandelt. Via Videotelefonie werden Symptome gecheckt, AU-Bescheinigungen und Rezepte ausgestellt. Die Krankschreibungen gehen elektronisch direkt an die Krankenkasse und den Arbeitgeber, die Rezepte auf das Handy des Patienten.

Die Behandlung ist zunächst auf sieben Krankheiten beschränkt: Gast­roenteritis, unterer Harnwegsinfekt, Tennisellenbogen, Rotatorenmanschettenläsion, unspezifischer Rückenschmerz, Migräneanfall und grippaler Infekt. Diese würden sich oft für eine Diagnosestellung per Video­übertragung eignen (bedenke: Videos lassen sich aufzeichnen) – und wenn das mal doch nicht der Fall sei, könne der Videoarzt einen Besuch in einer Praxis empfehlen.

Zurecht haben das einige Kolleginnen und Kollegen im Netz kommentiert („Auskultation durchs Telefon?“, „Am Telefon und durch die Hose stellt man eine Diagnose?“) sowie Fragen gestellt, z.B. nach der Haftung, wenn etwa die Subarachnoidalblutung als Migräneanfall gedeutet und fernbehandelt wird.

Nur habe ich leider keine Stellungnahme im Netz gefunden, die diese Art der ärztlichen Berufsausübung mit aller Deutlichkeit ablehnt. Sie wird so nicht gelehrt, die Ärztekammer sollte sie in der Berufsordnung verbieten. Und die Gesamtärzteschaft sollte öffentlichkeitswirksam unseren Gesundheitsminister Jens Spahn auffordern, gesetzliche Schranken einzubauen, um solche lebensgefährliche Ferndiagnosen und Fernbehandlungen zu verhindern.