Diabetisches Fußsyndrom Die Fußspuren einer Koryphäe
Um die Behandlung bestimmter Krankheitsbilder weiterzuentwickeln, braucht es Ärztinnen und Ärzte, die mutig genug sind, die Grenzen des medizinisch Bekannten auch mal zu überschreiten. „Das ist die einzige Möglichkeit, die therapeutische Bandbreite zu erweitern. Man muss etwas ausprobieren“, sagt Dr. Gerald Engels. Der 66-jährige Chirurg hat die Versorgung von Menschen mit diabetischem Fußsyndrom maßgeblich verbessert, etwa durch Operationen, die der Entlastung von Fußwunden dienen und Amputationen verhindern. Aber auch für bessere Vergütungsstrukturen für Fußpraxen hat er gekämpft. Vor Kurzem ist der Pionier in den Ruhestand gegangen, nur an zwei Tagen pro Woche arbeitet er noch in einem Kölner Krankenhaus.
Durchtrennen der langen Beugesehne getestet
Ein gutes Beispiel für einen von ihm entwickelten Eingriff ist das Durchschneiden der langen Beugesehne bei Krallenzehen – heute weit verbreitet, vor einigen Jahren allerdings noch eine unkonventionelle Idee. „Mir schien dieser Schritt logisch. Er war seinerzeit zur Behandlung der Hufrehe bei Pferden beschrieben.“ Der Arzt erklärte einem Patienten die ungewisse Studienlage, dieser forderte ihn auf, den Eingriff trotzdem auszuprobieren. Es klappte problemlos. Im Folgenden verfeinerte Dr. Engels die Methode, evaluierte sie und publizierte die Ergebnisse in einer Kohortenstudie. Eine neue Behandlungsmethode war entdeckt. „Später habe ich gesehen, dass international viele Mediziner ungefähr gleichzeitig darauf gekommen sind“, erinnert sich der Arzt.
Arbeit stieß bei einigen Kollegen auf Skepsis
Die Diabetologie reagierte anfangs eher argwöhnisch. „Bei Kongressen fragten die Kollegen gelegentlich, ob ich noch alle auf der Schüssel habe.“ Sie waren das Arbeiten mit randomisierten Doppelblindstudien gewöhnt, wie es bei Fragen der Medikation Goldstandard ist. „In der Chirurgie gibt es aber oftmals keine gesicherte Evidenz. Dafür hat der Arzt das Ergebnis der OP aber direkt vor der Nase“, betont Dr. Engels. Seine Spezialisierung auf den diabetischen Fuß begann Mitte der 1990er-Jahre.
Als Angestellter des Städtischen Klinikums Köln-Holweide wurde er zu einer Hospitation bei Professor Chantelau in der Fußambulanz Düsseldorf geschickt. Es war die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland. Beeindruckt kehrte Dr. Engels zurück, bald darauf erhielt er den Auftrag, in seiner Klinik einen ähnlichen Schwerpunkt aufzubauen.
2001 ließ der Mediziner sich dann in Köln nieder, viele seiner Klinikpatienten wechselten in seine Praxis. Allerdings zeigte sich schnell, dass noch keine Strukturen für die adäquate ambulante Versorgung des diabetischen Fußes vorhanden waren. „Die Vergütungssituation für die chirurgische Behandlung von Menschen mit chronifizierten Wunden war seinerzeit so gestaltet, dass eine Schwerpunktversorgung schlicht nicht möglich war.“ Um diesen Missstand zu beheben, gründete der Chirurg gemeinsam mit dem Diabetologen Dr. Dirk Hochlenert den Qualitätszirkel „Diabetischer Fuß“, 2002 das „Netzwerk Diabetischer Fuß Köln und Umgebung e.V.“. Noch heute ist Dr. Engels der Vorsitzende.
Um den Krankenkassen die Untervergütung anhand von Daten zu demonstrieren, entwickelten die Mitglieder des Netzwerks ein Konzept, mit dem sich der Verlauf diabetischer Fußerkrankungen dokumentieren lässt. Sie unterschieden zwischen akuten Behandlungs- und Prophylaxephasen, stets speicherten sie auch Fotos. Mit den Jahren entstanden über 20.000 Datensätze.
Mit den ersten Ergebnissen des Projekts wandten sie sich an die Krankenkassen. 2005 wurde der erste Vertrag über eine Integrierte Versorgung vereinbart, später wurde er in einen Strukturvertrag umgewandelt. Dank der Sonderverträge war es möglich, viele Kolleginnen und Kollegen in die Arbeit einzubinden. „Sollten diese Verträge auslaufen, ist es unklar, wie es weitergeht“, sagt Dr. Engels. Er befürchtet, dass dann viele Kollegen aufhören werden, Betroffene ambulant so umfänglich zu behandeln wie jetzt. „Das bedeutet, dass die stationären Schwerpunkteinrichtungen für die Behandlung von Fußkomplikationen ein Problem bekommen werden, diese Patienten zusätzlich abzuarbeiten.“
Gleichförmige Phänomene biomechanisch erklärt
Die Dokumentationsbilder entpuppten sich auch in anderer Hinsicht als wahre Schatztruhe. Bei der Verlaufsbeobachtung stellten Dr. Engels, Dr. Dirk Hochlenert, Dr. Stephan Morbach und Dr. Stefanie Schliwa fest, dass bestimmte Phänomene stets gleichförmig auftreten. „Wir haben uns etwa gefragt, warum Wunden immer an speziellen Stellen auftreten und uns intensiv mit der Biomechanik des Fußes beschäftigt.“ Ihre Erkenntnisse hielten sie samt ihrer Dokumentationsfotos in einem Buch fest, das international auf immenses Interesse stieß: „Das diabetische Fußsyndrom. Über die Entität zur Therapie.“