Diabetisches Fußsyndrom Unnötige Eingriffe rechtzeitig und gemeinsam vermeiden
Bis zu drei Viertel aller Menschen mit Diabetes sterben an Gefäßerkrankungen, und sehr viel häufiger als bei Gesunden liegt bei ihnen eine Arteriosklerose vor. „Wir sehen immer wieder Patient*innen, die eine Amputation erhalten, die aber nie einen Angiologen oder Diabetologen gesehen haben – von der Beteiligung an einem Zweitmeinungsverfahren ganz zu schweigen”, legte Dr. Rittig den Finger in die Wunde. „Es hat in diesen Fällen oft keine Gefäßdarstellung stattgefunden. Das ist ein No-Go und nicht leitliniengerecht. Das muss aufhören!”, sagte der Angiologe und Diabetologe aus Teltow.
Von der Diabetologie bis zur Podologie
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit sei bei Gefäßschäden essenziell. Zu den benötigten Fachgebieten zählten Diabetologie, Angiologie und Neurologie, Interventionalist*innen, Gefäß- oder Fußchirurgie, Assistenzberufe wie Diabetesberatung, Gefäßassistenz, Wundmanagement und Podologie.
In modernen Fußnetzen gebe es zum Diabetischen Fußsyndrom (DFS) einen engen Austausch, berichtete er. Auch im Krankenhaus funktioniere das Zusammenspiel meist gut. Doch zu wenige Kliniken hielten alle notwendigen Fachrichtungen vor. Die Kommunikation mit niedergelassenen Kolleg*innen sei daher nötig. „Hier wird uns in der Versorgung durch die Sektorengrenzen nicht selten ein Bein gestellt”, kritisierte Dr. Rittig. Ambulante Leistungen, wie die medizinische Fußpflege, ließen sich im DRG-System nicht abrechnen. Es gebe Gefäßkranke, die „mit Tausenden von Euro teuren Stents entlassen werden und der Zehennagel ist immer noch eingewachsen”.
Ein weiterer Fallstrick der DRG: Nur eine Abteilung kann den Fall abrechnen. Die Folge: ein „Konkurrenzkampf“ der Abteilungen. DDG und DGA fordern daher den Abbau der Sektorengrenzen und die Einrichtung wirtschaftlich gemeinsam veranlagter Gefäß- und Diabeteszentren. „Die Zentrumsbildung ist die Zukunft in der Medizin”, so Dr. Rittig. Bis heute sei hier die Diabetologie aber kein Standard.
Fünf neue Subtypen des Diabetes, die zunächst in Schweden, später auch in der großen German Diabetes Study identifiziert wurden, stellte Prof. Dr. Robert Wagner, Leiter des Klinischen Studienzentrums am DDZ in Düsseldorf, vor. Diese unterscheiden sich vor allem in ihrem kardiovaskulären Risiko deutlich, erklärte er. Die Forschenden fanden zudem heraus, dass die Subgruppe mit Insulinmangel eine Retinopathie, jene mit der größten Insulinresistenz eine hohe Rate an diabetischer Nierenschädigung aufweist.
Drei der fünf Subtypen sind als schwerer, zwei als milder Diabetes beschrieben. In der Gruppe mit deutlich reduzierter Insulinproduktion (SIDD, schwerer insulindefizienter Diabetes) kam es besonders häufig zur diabetischen Retinopathie. Auch das Risiko für eine Nervenschädigung, etwa in den unteren Extremitäten oder am Auge, war erhöht. Als weitere Gruppe wurden Patient*innen mit schwerem insulinresistentem Diabetes (SIRD) identifiziert. Viele Betroffene mit diesem Subtyp entwickeln schon sehr früh eine diabetische Nierenschädigung. Nur fünf Jahre nach der Diabetesdiagnose sei fast ein Viertel der SIRD-Gruppe davon betroffen gewesen, so Prof. Wagner. Da Insulinmangel und -resistenz ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal sind, sei ein flächendeckendes Screening sinnvoll.
Wenn nichts mehr geht: Vampirtherapie
Über 95 % der Amputationen haben eine nicht-heilende Wunde als Ursache, sagte Dr. Berthold Amann, Tagungspräsident der DGA und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Franziskus-Krankenhaus Berlin. Das DFS werde heute nach dem DIRA-Prinzip behandelt: Druckentlastung, Infektionsbekämpfung, Revaskularisierung (bessere Durchblutung durch Katheter oder Gefäßoperation), Amputation (möglicht zu vermeiden). Den Großteil der rund zwei Millionen Betroffenen mit DFS könne man durch dieses Vorgehen heilen.
Was aber wird aus den knapp 30.000 Patient*innen, deren Wunde sich trotzdem nicht verschließt? Häufig droht dann die große Amputation – mit drastisch verkürzter Lebenserwartung. Neben der Zell- und der Plasma- bzw. Kaltplasmatherapie wird bei nicht-heilenden Wunden auch eine Behandlung mit plättchenreichem Plasma (PRP) angewandt („Vampirtherapie“). Das Prinzip: Das Blut wird zentrifugiert, die Blutplättchen werden isoliert und das Plättchenkonzentrat auf die Wunde aufgebracht. Die Plättchen zerfallen und die darin gespeicherten Wachstumsfaktoren setzen sich frei. Diese Methode ist hilfreich bei flachen, großen und durchblutungsgestörten Wunden. Anhand der Studienlage sei ein Therapieversuch bei Nichtheilen einer Wunde trotz optimaler bisheriger Behandlung empfehlenswert, so Dr. Amann.