Interview „Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist wichtiger denn je“
Kurzbiographie Kathrin Boehm
Kathrin Boehm ist nach Ausscheiden von Dr. Nicola Haller im Mai 2024 zur Vorsitzenden des VDBD gewählt worden, zuvor war sie seit 2022 stellvertretende Vorsitzende. Die Diabetesberaterin DDG und Diätassistentin hat die berufsfachliche Leitung der DDG Weiterbildungen an der Diabetes Akademie Bad Mergentheim e. V. inne. Neben der Kursorganisation und der Betreuung der Teilnehmer*innen gehören der Unterricht zu den Themen Kommunikation, Gesprächsführung sowie die Vorbereitung der Transfer- und Prüfungsleistungen zu ihren Aufgaben.
Frau Boehm, im Mai wurden Sie zur Vorsitzenden des VDBD gewählt, zuvor waren Sie stv. Vorsitzende. Warum engagieren Sie sich?
Boehm: Durch meine Funktion als berufsfachliche Leitung werde ich immer wieder mit den Problemen von Diabetesberater*innen und Diabetesassistent*innen konfrontiert. Ich möchte für das Berufsbild eine höhere Aufmerksamkeit erreichen, indem ich Diabetesfachkräfte bestmöglich dabei unterstütze, ihren Wert zu kennen.
Welche Themen wird das VDBD-Vorstandsteam aktuell und in den nächsten Jahren angehen?
Boehm: Aktuell brennen die gesundheitspolitischen Veränderungen durch die Krankenhausreform. Viele unserer Mitglieder sind im stationären Setting tätig. Im KHVVG wurde diese Berufsgruppe nicht berücksichtigt. Weiterverfolgen werden wir in diesem Zusammenhang die Neuauflage der Rahmenempfehlungen für die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an Diabetesfachkräfte, um die Kompetenzen von Diabetesberater*innen und Diabetesassistent*innen noch sichtbarer zu machen. Ein weiteres Ziel ist es, mit den ärztlichen Berufsverbänden eine konsentierte Gehaltsempfehlung herauszugeben.
Was tut der VDBD, um sicherzustellen, dass Diabetesfachkräfte in der Reform genügend beachtet werden?
Boehm: Wir führen viele Gespräche mit ärztlichen Berufsverbänden. Gemeinsam möchten wir medienwirksam auf die Probleme der Krankenhausreform aufmerksam machen. Parallel veröffentlicht der VDBD eigene Stellungnahmen und Pressemitteilungen und sucht die Gespräche mit der Politik, um auf das Potenzial des Berufsbildes und unsere Forderungen aufmerksam zu machen.
Für Diabetesteams ist die interprofessionelle Zusammenarbeit sehr wichtig. Warum? Und was macht eine gute Zusammenarbeit im Team aus?
Boehm: Seit jeher ist die Diabetologie ein Bereich, in dem interprofessionelle Zusammenarbeit gelebt wird. Angesichts der schnellen Entwicklungen in der Diabetestechnologie ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe wichtiger denn je. Die hohe Arbeitsbelastung, Bürokratisierung, fehlende digitale Infrastrukturen, Zeit- und Personalmangel werden oftmals zu Lasten von Teambesprechungszeiten und persönlichem Austausch kompensiert. Gute Zusammenarbeit entsteht durch Kommunikation, und die braucht Raum und Zeit im Arbeitsalltag. Supervision und Teambildungsmaßnahmen wären dafür gute Möglichkeiten.
Ein Anliegen des VDBD ist die Delegation ärztlicher Tätigkeiten. Warum?
Boehm: In der Pflege sind 2023 Modellvorhaben für die heilkundliche Übertragung zu unterschiedlichen Krankheitsbildern an den Start gegangen. Im Bereich Diabetes mellitus führen Diabetesberater*innen seit vielen Jahren diese Tätigkeiten aus, und das möchten wir durch die VDBD-Rahmenempfehlungen zur interprofessionellen Versorgung Arbeitgeber*innen sichtbar machen.
Zeigt sich der Fachkräftemangel schon heute bei den Diabetesfachkräften? Was bringt die Zukunft?
Boehm: In den Kliniken und Praxen ist nach wie vor eine große Nachfrage an Weiterbildungsplätzen, da auf dem freien Markt kaum Diabetesberater*innen verfügbar sind. Auch hier setzt das Rentenalter der „Babyboomer“ ein. Wir sind alle gefragt, das Berufsbild von Diabetesberater*innen attraktiv zu machen. Attraktivität entsteht durch Verantwortung, Einflussnahme (z. B. Einbindung bei der Digitalisierung von Arbeitsprozessen), Selbstwirksamkeit, Entwicklungsmöglichkeiten (Fortbildungsmöglichkeiten) und angemessene Honorierung. Eine wichtige Frage ist auch: Inwieweit lassen sich moderne Arbeitsbedingungen, die sich an die persönliche Lebenssituation anpassen (flexible Arbeitszeiten, Homeoffice), besser am Arbeitsplatz integrieren?
Im Ausland sind Gesundheitsberufe oft akademisiert und haben dadurch größere Handlungsspielräume, das steigert die Attraktivität. Hier fehlt es noch an einer konkreten Lösung für die Berufsgruppe der Diabetesberater*innen.
Aus welchen Grundberufen kommen Menschen, die sich im Bereich der Diabetesberatung weiterbilden? Warum entscheiden sie sich dafür – und was schreckt vielleicht ab?
Boehm: Die Teilnehmer*innen in den Kursen sind MFAs, Diätassistent*innen oder Oecotropholog*innen und Pflegefachpersonen. Viele haben Kolleg*innen, die ihnen den Spaß am Beruf und das selbstständige Arbeiten vorleben. Bei der Pflege ist häufig der Wunsch „raus aus dem Schichtdienst“ der Grund für die Weiterbildung. Die Weiterbildung Diabetesberater*in DDG geht über ein Jahr und ist daher zeitintensiv. Die anfallenden Arbeitsaufträge würde ich persönlich aber nicht als abschreckend, sondern herausfordernd sehen. Weiterbildung ist immer gleichzeitig eine persönliche Weiterentwicklung und damit eine Investition in mich selbst.
Wie versucht der VDBD, Nachwuchs zu gewinnen?
Boehm: Wir kommunizieren immer wieder, dass es ein zukunftssicherer, abwechslungsreicher und verantwortungsvoller Beruf ist. Die Zusammenarbeit mit der DDG ist hier sehr gut und die Anmeldezahlen zu den Weiterbildungskursen sprechen für sich. Dennoch benötigen wir ein Konzept, wie wir Teilnehmer*innen aus anderen Kulturen besser in die Weiterbildung integrieren bzw. deren Diabetesexpertise in die Diabetesteams einbinden können.
Generell brauchen wir zusätzliche Medien, um auf die Attraktivität des Berufsbildes aufmerksam zu machen. Jüngere Generationen informieren sich anders, nicht über Texte. Hier braucht es ansprechende, ggf. humorvolle Videos aus dem Berufsalltag über Social Media.
Wieso lautete das Motto des VDBD-Barcamps im Frühjahr „Marktwert – Mehrwert – Geldwert: Was bin ich als Diabetesfachkraft?“?
Boehm: Wenn ich als Diabetesfachkraft mir meiner Kompetenzen bewusst bin und weiß, was ich persönlich für meinen Arbeitsplatz mitbringe, kenne ich nicht nur meinen „Marktwert“, sondern bin mir auch des Mehrwerts für meinen Arbeitgeber bewusst und sollte mich daher nicht unter Wert verkaufen.
Warum ist das Gehalt ein immer wieder aufkommendes Thema?
Boehm: Es gibt keinen einheitlichen Tarif, das Gehalt orientiert sich am Grundberuf. In Deutschland gibt es ein starkes Gefälle, da im ambulanten Sektor das Gehalt von Diabetesberater*innen oftmals auch vom Punktwert der Abrechnungsziffern abhängig ist. Die gleiche Leistung wird je nach Kasse und KV-Region unterschiedlich refinanziert. Somit bleibt Gehalt Verhandlungssache. Der VDBD bietet über seine VDBD AKADEMIE extra ein Seminar „Verhandlungstraining“ mit einer Rechtsanwältin an.
Im September findet die 11. VDBD-Tagung statt. Was erwartet die Besucher*innen? Und welcher Vortrag interessiert Sie besonders?
Boehm: Wir haben bei der Online-Tagung bei Referent*innen und Vorträgen eine bunte Mischung aus medizinischen, psychologischen und beratungsrelevanten Themen. Wegen der Aktualität des DMP Adipositas interessiert mich besonders der Vortrag zum neuen Schulungsprogramm.