Endlich zur Brust nehmen
Deutschland ist stillunfreundlich. Ja, stillen sollen Frauen schon. Aber nur hinter verschlossener Tür! Was für eine Heuchelei. Sobald eine Mutter in der Öffentlichkeit für den Nachwuchs ihre Bluse lüftet, fühlt sie sich schnell unwohl. Unabhängig davon, wie diskret sie vorgeht. Denn die meisten Passanten schauen beschämt weg. Ich habe mich früher ebenso verhalten und mich als Voyeur von etwas Intimem gefühlt. Schlimm, was die Gesellschaft mir indoktriniert hat.
Es ist höchste Zeit, dass wir alle endlich umdenken! Stillen ist das natürlichste der Welt und wenn der Nachwuchs plötzlich Hunger hat, sollte er was bekommen – egal wo. Dies dachte sich vor Kurzem wohl eine junge Mutter und ging dafür in die Wiesbadener Marktkirche. Schließlich war es ein regnerischer Winterabend. Doch sie wurde von einem Gemeindediener aus der Kirche geschmissen. Mittlerweile hat sich die Pressereferentin des Dekanats für den Vorfall entschuldigt. Vermutlich aufgrund des Medienrummels.
Auch ich bin bereits im Winter durch die Straßen gehetzt, weil mein Baby Hunger hatte. Cafés waren überfüllt und in die Kirche habe ich mich zum Stillen nicht getraut. Schwachsinn, wie ich heute finde! Schon vor Jahren hat Papst Franziskus Frauen aufgerufen, ihre Kinder bei Bedarf während einer Messe zu nähren. „Danken wir dem Herrn für das Geschenk der Milch“, soll er außerdem gesagt haben. Im konservativen, streng katholischen Italien ist es also ganz normal, dass Mütter ihre Kinder überall stillen. Warum auch nicht?
Aber es gibt einen Knackpunkt: Nur wenn sich mehr Mütter trauen, diesen natürlichen Vorgang mit der Öffentlichkeit zu teilen, kann diese lernen, ohne Scham mit ihm umzugehen. Als Arzt können Sie den Prozess vorantreiben, indem Sie ihre Offenheit signalisieren, Fragen rund um das Thema beantworten und Frauen in ihrem Selbstverständnis stärken. Ein einladendes Signal senden Sie z.B. mit einem Schild direkt vor Ihrer Praxis, auf dem Sie Mütter zum Stillen willkommen heißen.
Elisa Sophia Breuer
Redakteurin Medizin