Antikorruptionsgesetz wirkt präventiv Ermittlungen starten als Feuerwerk und enden still

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Verfahren wegen Abrechnungsbetrug können auch mit zehn Jahren Haft enden. Verfahren wegen Abrechnungsbetrug können auch mit zehn Jahren Haft enden. © WESTOCK – stock.adobe.com

Die großen Skandale um Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen liegen schon einige Jahre zurück. Das Antikorruptionsgesetz wirkt, insbesondere präventiv. Kliniken und Praxisärzte sind sensibilisiert für Fehler bei der Leistungsabrechnung. Ein Strafverteidiger nennt die Fallstricke.

Das Medizinstrafrecht, der Abrechnungsbetrug, hat seit den 1980er-Jahren ungebremste Aufmerksamkeit erfahren“, sagt Patrick Teubner, Fach­anwalt für Strafrecht in Berlin. Zu denken sei an Schwerpunkte und „Trends“ bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wie beim Herzklappenskandal, bei der viel diskutierten Auslegung der GOÄ um das Jahr 2000, den Kooperationen mit Heil- und Hilfsmittelanbietern, der Abrechnung von Laborleistungen, dem Status und der Gründung von MVZ. 

Es braucht viel Zeit, um die Fälle aufzuarbeiten

Der Jurist erinnert an die „Klinikwelle“ in Berlin 2010 bis 2015. „Razzia in Berliner DRK-Kliniken“, Durchsuchung bei Helios“, „Klinikchefs bei Razzia verhaftet“ – so titelten damals die Zeitungen der Hauptstadt. Ermittelt wurde mit aufwendigen Durchsuchungen wegen Betrugsverdacht. „Ich glaube es gab in Berlin keine größere Klinik, die nicht von diesen Verfahren betroffen war“, sagt der Anwalt. Doch alle Verfahren gegen Ärzte, Geschäftsführer und Verwaltungsmitarbeiter seien eingestellt worden wegen Geringfügigkeit, gegen Zahlung einer Geldauflage oder mangels Tatverdacht, manche allerdings erst vor Gericht. 

Es sei prägend für solche Abrechnungsbetrugsverfahren, dass sie mit einem Feuerwerk an Aktivitäten durch Ermittlungsbehörden anfingen. Dann folge eine Phase der Auswertung von Beweismitteln, was angesichts von Terrabytes an sichergestellten Daten aus Abrechnungssystemen, Servern und Clouds Jahre dauern könne. 

Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und -Landeskriminalämter seien zwar technisch gut ausgestattet. Es brauche jedoch Zeit, um die Fälle aufzuarbeiten. Um einen Betrugstatbestand zur Anklagereife zu bringen, müsse man Einzelfälle bewerten und eine Patientengeschichte, von der Aufnahme über die Leis­tungserbringung bis zur Abrechnung, rechtlich einschätzen. „Das ist in solchen auf Massenerledigung angelegten Verfahren ein irrer Aufwand, um den ich die Ermittlungsbehörden nicht beneide.“

Hinzugekommen seien Ermittlungen zu Status- und Gründungsfällen von MVZ mit oder ohne Investorenbezug. Teubner erinnert an ein „Strohmann“-Verfahren in Hamburg 2020. Das Landgericht hatte einen Apotheker und zwei Ärzte wegen Abrechnungsbetrugs in Zusammenhang mit dem Betrieb eines MVZ zu Freiheitsstrafen verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil später. Im Fokus stand dabei auch die Frage, ob eine erschlichene Zulassung für ein MVZ automatisch dazu führt, dass jede Abrechnung eine falsche Abrechnung darstellt. Das Landgericht hatte das Einreichen der Abrechnungen letztlich als Betrug gewertet. 

Teubner geht auch davon aus, dass die Ermittlungen und Verfahren im Gesundheitswesen öffentlichkeitswirksam bleiben. „Kein Reporter ist um 6 oder 7 Uhr morgens zufällig vor einer gewissen Praxis, vor einem gewissen MVZ, vor einem gewissen Krankenhaus.“ Er führt das auf „Durchstecherei“ zurück, auf enge Verbindungen von Presse, LKA und Staatsanwaltschaften. 

In Fachkreisen sei das auch bekannt. „Den betroffenen Personen ist manchmal weniger, manchmal mehr bekannt, dass es eine Verletzung von Geheimnissen darstellt, wenn man geplante Durchsuchungen an die Presse weitergibt.“ Teubner sieht bei Verfahren mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit allerdings auch eine präventive Wirkung. In seiner Kanzlei jedenfalls habe man bemerkt, dass diese Art von Verfahren enorm abgenommen habe. 

Ausgelöst werden strafrechtliche Ermittlungen von Landeskriminal­ämtern und Staatsanwaltschaften sowie Fehlverhaltensstellen bei den Krankenkassen. Auch KVen haben die Pflicht, Sachverhalten nachzugehen, die auf Unregelmäßigkeiten oder auf rechtswidrige oder zweckmäßige Nutzung von Finanzmitteln hindeuten. Laut Teubner haben diese Stellen sogar eine Unterrichtungspflicht gegenüber Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden. Dies sei laut Gesetzestext zwar eine Soll-Vorschrift mit einem gewissen Ermessensspielraum, jedoch bestünden bei den Stellen Ängste, sich ggf. wegen Strafvereitelung später verantworten zu müssen, wenn man Informationen nicht weitergebe. 

Manchmal bestehe „auch ein gewisses Bedürfnis, Abrechnungsbetrug zur Anzeige zu bringen, weil zu Unrecht zur Abrechnung Gebrachtes als Schaden geltend gemacht werden könne“. Der Strafanwalt nennt hier Rückzahlungen an Krankenkassen und KVen. Und von den Ministerien soll laut Recherchenetzwerk Correctiv im letzten Jahr bundesweit rund eine Milliarde Euro an Geldauflagen aus Gerichtsurteilen eingenommen worden sein. 

Auslöser für Anzeigen sind nach Teubners Erfahrung auch interne Streitigkeiten in Krankenhäusern, Praxen, MVZ – arbeitsgerichtliche Verfahren oder private Streitigkeiten: „Unterschätzen Sie bitte diese Komponente nicht.“ 

Dass es mittlerweile bundesweit und flächendeckend die genannten Ermittlungsgruppen gibt, findet der Verteidiger „eine gute Entwicklung“. Denn dann könne man von Anfang an qualifiziert über Verfahren und die im Raum stehenden Tatbestände sprechen. 

Auf Tatbestandebene erfordert Betrug zunächst eine Täuschung, die Vorspiegelung falscher oder die Unterdrückung wahrer Tatsachen, so Teubner. Dabei verweist er auf typische Problemfelder. 

Ist ein Problem erkannt, wird auch in der Vergangenheit etwas tiefer gegraben

Es gibt keinen Strafrechtsparagrafen mit der Überschrift Abrechnungsbetrug. Es handelt sich hier um den normalen Betrugstatbestand nach § 263 Strafgesetzbuch, „die Vermögensbeschädigung durch Täuschung eines anderen in Bereicherungsabsicht“. Schon der Versuch sei strafbar, warnt der Berliner Fach­anwalt für Strafrecht Patrick Teubner. 

Als besonders schwerwiegend gelte gewerbsmäßig begangener Abrechnungsbetrug oder der Vermögensverlust von 50.000 Euro und mehr. Für besonders schwere Fälle sieht der Gesetzgeber Strafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor.

„Die Summierung der Schäden kann schnell große Höhen erreichen, von denen man am Anfang vielleicht gar nicht so ausgeht“, sagt Teubner. Das liege daran, dass Abrechnungsbetrug auf bestimmten Verfahrensweisen und Prozeduren basiere. „Das heißt: Wenn Sie ein Problem identifizieren oder ein Ermittlungsverfahren in einem bestimmten Bereich haben, können Sie in der Regel davon ausgehen, dass das Thema auch in den Quartalen vorher schon bestand oder möglicherweise auch in den Jahren vorher schon mal bestanden hat.“

In der medizinstrafrechtlichen Literatur sowie in Fachkreisen wurde laut Teubner eine gewisse Hoffnung geäußert, dass mit der Einführung der §§ 299 a,b StGB zur Korruption im Gesundheitswesen (2016 in Kraft getreten) der Abrechnungsbetrug normativ etwas eingegrenzt werde, dass also nicht mehr jedes berufsrechtlich und sozialrechtlich problematische bzw. anstößige Verhalten gleich auf die Abrechnung durchschlagen und einen Anlass für ein Abrechnungsbetrugsverfahren bilden kann. „Aber das hat sich nicht bewahrheitet“, berichtet der Berliner Anwalt. Ermittlungen würden oft, auch wenn sie mit einem Korruptionsverdacht begännen, wegen Abrechnungsbetrug fortgeführt.

Versicherung, dass Leistungen korrekt erbracht wurden

Im vertragsärztlichen Bereich setze die Täuschung in der Regel bei der Quartalsabrechnung an, bei der Einreichung der Sammelerklärung. Die KV werde getäuscht, „wenn die abgerechneten Leistungen nicht durch den abrechnungsbefugten Arzt oder einem gemeldeten Vertreter erbracht worden ist“. Denn mit der Sammel­erklärung wird versichert, dass die zur Abrechnung gebrachten Leistungen persönlich oder unter Aufsicht des Vertragsarztes ausgeführt worden sind. 

Allerdings stellt nicht jede Abrechnung mit falsch erklärten Inhalten eine betrugsrelevante Täuschung des Rechnungsadressaten dar. Hat der falsche Inhalt keinen Bezug zu den Vermögensentscheidungen des Getäuschten oder ist der Rechnungsempfänger rechtlich nicht zur Prüfung bestimmter tatsächlicher Umstände gehalten, liegt laut Teubner keine Täuschung vor. „Auch wenn ich eine vertretbare Auslegungsmöglichkeit habe, stellt das keine strafbare Verletzung, keine strafrechtlich relevante Täuschung dar.“

Wann liegt eine rechtlich relevante Täuschung vor?

Eine Täuschung sieht der Strafverteidiger im Folgenden: 

  • Wenn Leistungen abgerechnet werden, die ein Arzt mit erschlichener Approbation erbracht hat oder die in mittels Strohmann gegründeten MVZ erbracht werden.
  • Wenn ein Patient auf eine Art und Weise zugewiesen wird, die einem Kooperationsverbot unterfallen könnte. Auch einen Vorteil (Kickback-Zahlung) nicht weiterzugeben, kann einen Abrechnungsbetrug begründen. 
  • Klassische Fälle von Luftleis­tungen: „Wenn ich eine Leistung nicht erbracht habe, darf ich diese natürlich auch nicht abrechnen. Der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung sollte Ihnen auch geläufig sein.“
  • Das unvollständige Erbringen obligater/fakultativer Leistungsinhalte. 
  • Fehler bei der Vertretung.
  • Upcoding-Fälle – in der Praxis sehr relevant.
  • Die Frage der medizinisch nicht indizierten oder unwirtschaftlichen Leistungen ist aus Teubners Sicht ein Grenzbereich. 
  • Wenn im Bereich MVZ, in größeren Praxen oder in Krankenhäusern Leistungserbringung, Leistungserfassung und Abrechnungsebene auseinanderfallen, der Arzt über die Abrechnung der Leistung überhaupt keine Kenntnis und keine Kontrolle mehr hat. Für Teubner stellt sich hier die Frage, ob der Arzt für eine durch das Abrechnungscontrolling und Softwareprogramme „optimierte“ fehlerhafte Abrechnung überhaupt verantwortlich gemacht werden kann. Diese Frage habe einmal in Verhandlungen, die fünf Jahre dauerten, eine große Rolle gespielt: „Letztlich sind alle Verfahren eingestellt worden sind, weil man die Abrechnung niemandem mehr so wirklich zuordnen konnte.“
  • Auffallen einer fehlerhaften Abrechnung in der Vergangenheit, vielleicht mehrere Quartale zurück. „Habe ich jetzt in meiner Position eine Pflicht, diese Vorgänge zu melden? Muss ich an die Krankenkasse oder KV herantreten und sagen: ,Wir haben da was falsch abgerechnet‘? In beiden Fällen würde ich nein sagen. Diese Pflicht haben Sie nicht.“ Die nächste Abrechnung aber müsse stimmen. „Das ist alternativlos. Dafür müssen Sie Sorge tragen, damit sie tatsächlich strafrechtlich nicht in die Gefahr einer Verfolgung kommen.“

Quelle:Kaiserin-Friedrich-Stiftung
Medical-Tribune-Bericht