Corona-Testzentren 2.000 Tests pro Tag abgerechnet

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Bis Ende Juli 2023 wurden mehr als 14.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bis Ende Juli 2023 wurden mehr als 14.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. © benjaminnolte – stock.adobe.com

Als Anfang 2020 die ersten Infektionen mit dem Coronavirus in Deutschland registriert wurden, konnte niemand ahnen, welche Auswirkungen das auf Land und Menschen haben wird und welche volkswirtschaftlichen Kosten unter dem Strich stehen – auch getrieben durch Betrug. 

Dass im großen Stil in der Coronapandemie betrogen werden konnte, zeigte sich schon früh in der Hauptstadt. Bereits seit April 2020 ermittelten das für Wirtschafts- und Korruptionsdelikte zuständige Dezernat des Landeskriminalamtes sowie die entsprechenden Abteilungen der Staatsanwaltschaft. Tausenden von Verdachtsfällen des Betruges und Subventionsbetruges durch die missbräuchliche Erlangung von Coronahilfen waren aufgelaufen. Im Oktober 2020 wurde angesichts des Ausmaßes an Verdachtsfällen schließlich eine extra Ermittlungsgruppe Corona (EG Corona) eingerichtet. 

Mehr als 14.000 Ermittlungsverfahren

Jetzt, drei Jahre später, liegt die vorläufige Bilanz vor: Bis Ende Juli 2023 wurden mehr als 14.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet, mehr als 10.000 Fälle wurden nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft übergeben. „In einer Vielzahl dieser Fälle erwirkte die zuständige Staatsanwaltschaft Haftbefehle, diese wurden teilweise auch im Ausland vollstreckt“, informiert die Pressestelle der Polizei. Darüber hinaus befänden sich aktuell noch mehr als 5.000 möglicherweise straftatrelevante Anträge auf Corona­hilfen bei der EG Corona in Prüfung. Und auch heute noch werden den Justizbehörden im Schnitt mehr als 50 neue Sachverhalte pro Monat gemeldet, die jeweils zu Strafanzeigen führen. 

„Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Ermittlungen noch mehrere Jahre andauern werden“, bemerkt die Pressestelle. Sie verweist allerdings auch auf eine erfolgreiche justizielle Strafverfolgung dieser Betrugsdelikte hin. In etwa jedem zweiten der Strafermittlungsverfahren sprachen Berliner Gerichte Geld- bzw. Haftstrafen aus bzw. erteilten Strafbefehle. Außerdem konnten mehrere Millionen Euro durch die Staatsanwaltschaft an „Beute“, wie es heißt, gesichert werden.

Berlin wird inzwischen als Hotspot für Coronabetrug betrachtet. Dazu beigetragen haben auch der türkische Geschäftsmann Kemal C. und seine Schwester Gülbeyaz W. Rund zwölf Millionen Euro hatte Kemal C. zwischen Mai 2021 und Februar 2022 bei der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet – für 18 von ihm registrierte, aber nie kontrollierte Testzentren. 9,7 Millionen Euro wurden ihm ausgezahlt, obwohl nur 63.900 Euro hätten tatsächlich gezahlt werden müssen. Wie die Berliner Zeitung vorrechnete, waren im Juni 2021 in den Testzentren 64.563 Abstriche genommen worden: „Das wären bei einem 19-stündigen Betrieb mehr als 2.000 Tests am Tag gewesen, zwei Abstriche pro Minute – ohne Pause.“ Acht Jahre und neun Monate Haft lautete im März das Urteil für den Spätverkauf-Betreiber Kemal C. Es ist noch nicht rechtskräftig. 

KVen mussten Plausibilität der Abrechnungen prüfen

Die KVen hatten per Coronavirus-Testverordnung (TestV)bis zum 28. Februar 2023 die Aufgabe, Abrechnungen von Testungen, bezogen auf den jeweiligen Leistungserbringer zu prüfen – einerseits per Plausibilitätsprüfung der Abrechnung und andererseits per stichprobenartiger und anlassbezogener Prüfung auf ordnungsgemäße Durchführung und Abrechnung. Zu Unrecht gewährte Vergütungen sollten zurückgefordert und an die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zurückgeführt werden. Seit Änderung der Testverordnung im 18. März 2022 mussten die KVen dem Bundesministerium für Gesundheit einmal im Quartal, letztmalig im April 2023, über die Kassenärztliche Bundesvereinigung einen Bericht über Abrechnungsprüfungen nach § 7a TestV übermitteln. Das betraf insbesondere Angaben zu Anzahl und häufigsten Gründen der Abrechnungsprüfungen sowie zur Anzahl, zur Höhe und zu den Gründen eingeforderter Rückzahlungen. Mit der Vorgabe von Abrechnungsfristen sollte sichergestellt sein, dass die regulären Abrechnungsverfahren nach der TestV im Jahr 2023 abgeschlossen sind. Da für streitbehaftete Abrechnungen ein längerer Abrechnungszeitraum erforderlich sein kann, endet die Corona-Testverordnung allerdings erst am 31. Dezember 2024.

Weder Identität noch Steuernummer geprüft

Offenbar ist ein Betrügen für die Täter auch leicht gewesen in Berlin. „Mitunter hat es von der Antragstellung bis zur Auszahlung des Geldes nicht einmal 24 Stunden gedauert“, bemerkt Christian Eggert von der EG gegenüber rbb24. Weder die Identität noch die Steuer-ID seien in dem Antragsverfahren überprüft worden. Sehr häufig waren die Ermittler auch mit Identitätsdiebstahl konfrontiert, wie Eggert berichtet.

„Die Tatverdächtigen haben sich zum Beispiel einfach im Internet Firmen oder natürliche Personen gesucht und mit deren Daten dann Anträge gestellt. Dabei haben sie aber dann natürlich das eigene Konto angegeben und auf diese Art und Weise entsprechend die Gelder erlangt.“ 

Aber nicht nur in Berlin, bundesweit wurde in Coronazeiten massiv getäuscht und betrogen. Es gibt noch immer Verfahren in Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern sowie Nordrhein-Westfalen.

Auch die Ermittler im Saarland haben einiges aufzuarbeiten. Die Staatsanwaltschaft hat mit Stand April 26 Ermittlungsverfahren eingeleitet, 67 Testzentren betreffend. In Rede stehen nach Informationen des saarländischen Innenministeriums im Saarländischen Rundfunk insgesamt 90 ehemalige Testzentren in allen Landkreisen und dem Regionalverband Saarbrücken. Ins Rollen gekommen seien die Verfahren nach Anzeigen der KV Saarland und von Gesundheitsämtern, aber auch durch Geldwäscheverdachtsmeldungen und Anzeigen von angeblich Getesteten.

Welcher finanzielle Schaden insgesamt durch Betrug mit Testzentren entstanden ist, bleibt unklar. Oft fehlt auch eine Spur zu den zu Unrecht ausgezahlten Geldern. Ein Recherchekollektiv von Report München und rbb24 konnte anhand von Bankunterlagen nachvollziehen, dass das türkische Geschwisterpaar mehr als sechs Millionen der erhaltenen Euro dem Vater in die Türkei überwiesen hatte. Die Recherchen lassen zudem Zusammenhänge mit einem kriminellen Clan-Netzwerk vermuten. 

Medical-Tribune-Bericht