Abrechnungsbetrug? Gegen Wissenslücken bei Krankenkassen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Staatsanwaltschaft warf Apothekern vor, Ärzte durch Gewährung verschiedener Vorteile an sich zu binden. Die Staatsanwaltschaft warf Apothekern vor, Ärzte durch Gewährung verschiedener Vorteile an sich zu binden. © ArLawKa – stock.adobe.com

Die Versorgung mit Zytostatika ist wieder in die Schlagzeilen geraten. Medien berichten über mögliche Gewinne für Apotheker von jährlich einer halben Million Euro sowie von Schmiergeld für Ärzte. Und den Kranken­kassen scheinen die Kosten zulasten der Beitragszahler egal zu sein. Immerhin der Gesundheitsminister zeigt sich alarmiert.

Mehr als 480 Polizeibeamte und sechs Staatsanwälte waren zuerst mit 58 Durchsuchungsbeschlüssen vor Ort, später wurden 11 weitere Durchsuchungsbeschlüsse durch das Amtsgericht Hamburg erlassen und vollstreckt. Das war im Dezember 2020. Von einer der größten Durchsuchungsmaßnahmen, die die Korruptionsabteilung der Staatsanwaltschaft jemals durchgeführt hat, berichtete damals eine Sprecherin der Behörde. Ins Rollen gebracht hatten die Ermittlungen Recherchen von „Zeit online“ und dem ARD-Magazin „Panorama“. 

Staatsanwaltschaft Hamburg hat 44 Personen im Visier

Die Staatsanwaltschaft warf Apothekern vor, Ärzte „durch Gewährung verschiedener Vorteile an sich zu binden, um auf diese Weise zu erreichen, dass die Ärzte Rezepte insbesondere für hochpreisige Krebsmedikamente nur noch über die von den Beschuldigten betriebenen Apotheken und Unternehmen einlösen“. Einzelne Mediziner sollen neben Kickback-Zahlungen von mehr als 500.000 Euro auch „rückzahlungsfreie Darlehen, Nutzung luxuriöser Fahrzeuge oder anderweitige geldwerte Zuwendungen“ wie Praxis­einrichtungen erhalten haben, so der Vorwurf. Die Ermittlungen dauerten noch an, ihr Abschluss lasse sich nicht prognostizieren, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Inzwischen wird gegen 44 Personen wegen des Verdachts der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen und wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs ermittelt. 

Nun stehen wieder Ärzte und Apotheker im Verdacht, sich zu bereichern. Diesmal berichtete das ARD-Magazin „Monitor“ über die neue Vorwürfe. Apotheker, die Krebsmedikamente herstellen, könnten mit einer einzigen Infusion mehr als 1000 Euro extra verdienen, heißt es. Verwiesen wird auf Preislis­ten, die WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung und Monitor vorliegen. Demnach könnten die Krankenkassen unnötigerweise mit jährlich bis zu 500 Mio. Euro Kosten für die lebenswichtigen onkologischen Therapien belastet werden.

Auf die möglichen Gewinne weist der Apotheker Robert Herold aus dem sächsischen Falkenstein hin. Er selbst mischt Zytostatika an. Damit gehört er zu den rund 300 Apothekern in Deutschland, die diese Leis­tung abrechnen dürfen. Die Zubereitung ist, wie er im Film vorführt, relativ einfach. Dennoch scheint dafür viel Geld zu fließen. Die Grundpauschale, die die Kasse für Zubereitung und Bereitstellungskosten zahlt, beträgt zwar nur 100 Euro. Jedoch kann sich ein Apotheker nach Darstellung des Rechercheverbundes erhebliche Rabatte seitens Hersteller oder Großhändler gutschreiben lassen. 

Interne Preislisten zeigen fragwürdige Gewinnspannen

Herold hat selbst profitiert, macht nun aber das System öffentlich. Er gewährt Einblick in Preislisten, die große Gewinnspannen belegen. Demnach kostet das Generikum Albotiva 1000 mg im Großhandel 200 Euro, jedoch bezahlen Kassen an Apotheker 1.200,20 Euro. Die Packung Bevacizumab kostet beim Großhandel 360 Euro. 1.109 Euro zahlen Kassen. „Die in der Monitor-Sendung kolportierten Preise sind uns nicht bekannt und wir können sie nicht kommentieren“, schreibt der Deutsche Apothekerverband in einer Stellungnahme. Auch lasse sich das errechnete Einsparpotenzial nicht nachvollziehen. 

Nichtwissen scheint auch bei den zahlenden Krankenkassen Alltag zu sein. Vielleicht wird das Problem auch einfach ignoriert. Apotheker Herold jedenfalls informierte nach eigener Aussage die AOK Plus in Sachsen regelmäßig seit fünf Jahren: „Die Reaktion ist gleich null.“ 

Laut Aussage von Florian Lanz, Pressesprecher des GKV-Spitzenverbandes, können die Abgabepreise der pharmazeutischen Unternehmen von den Kassen zwar jederzeit erfragt werden. Listen der Großhändler lägen aber nicht vor. Der GKV-Spitzenverband teilte dem Rechercheteam im Nachgang mit, einmal im Jahr 2020 eine solche Liste vertraulich und nur in Ausschnitten erhalten zu haben.

Ein Milliardenverdienst?

Eine halbe Mrd. Euro Rabattgewinne pro Jahr – ist das möglich? Der Verband Zytostatika herstellender Apothekerinnen und Apotheker (VZA) bezweifelt das. Er verweist darauf, dass in der ambulanten onkologischen Versorgung jährlich Infusionstherapien mit einem Marktvolumen von etwa 2,2 Mrd. Euro hergestellt werden. Wie „DAZ online“ ausführt, entfallen davon 1,73 Mrd. auf patentgeschützte Arzneimittel. Rabatte bei den pharmazeutischen Unternehmen oder Großhändlern könnten Apotheken aber nur bei Biosimilars und Generika aushandeln – und deren Volumen beträgt 460 Mio. Euro. Laut VZA sehe die Hilfstaxe in ihrer aktuellen Fassung vom 15. April 2023 Rabatte der Apotheken auf einzelne Substanzen von bis zu 83,7 % bei Generika und 67,5 % bei Biosimilars vor, schreibt „DAZ online“.

Bundesgesundheitsminister will regulatorisch vorgehen

Die Journalisten hatten im Zuge ihrer Nachforschungen die Vergleichslisten allerdings an alle 96 Krankenkassen geschickt. Für Dr. Sabine Richard, Leiterin der Geschäftsführungseinheit Versorgung im AOK-Bundesverband, zeigen sich in den Aufstellungen „durchaus Potenziale, die den Beitragszahler entlasten können und die den Druck von weiteren Beitragserhöhungen wegnehmen können“. 

Inwieweit Zyto-Apotheken die aufgedeckten Preisspannen tatsächlich für sich nutzen ist unklar. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach will das Problem der Wissenslücken regulatorisch angehen. Mit welcher Mühe Krankenkassen die Zahlen zurzeit bekommen könnten, ist aus seiner Sicht „ein unhaltbarer Zustand“. 

Dr. Richard fordert: „Gebt den Krankenkassen die Möglichkeit zurück, die Belieferung der Arztpraxen mit Zytostatika in einem transparenten Verfahren regional auszuschreiben.“ Ein solches Prozedere gab es  schließlich schon einmal. „Diese Verträge sind aber nach einer Kampagne von Apothekern und Ärzten 2017 gesetzlich verboten worden.“ Um möglichem Fehlverhalten vorzubeugen, sollten Ärzte zudem nicht selbst auswählen, welche Apotheke die parenteralen Zubereitungen liefert. 

Zu wünschen wäre ein Eingreifen der Politik auch für Apotheker Herold. Denn seitdem dieser die Rabatthöhen öffentlich gemacht hat, sieht er sich als Whistleblower in der Kritik stehen. Er berichtet zudem von beruflichen Nachteilen, weil er wegen der Ablehnung von Schmiergeldzahlungen zum Teil keine Rezepte mehr von Onkologen erhält.

Medical-Tribune-Bericht