„Fegt alle hinweg!" – Deutsche Ärzteschaft war stärker als andere Berufe NS-verbunden
© „Fegt alle hinweg“ – Entzug der Approbation jüdischer Ärztinnen und Ärzte 1938
Am 23. März 1933 traf sich Geheimrat Dr. Alfons Stauder, Vorsitzender des Ärztevereinsbundes sowie des Hartmannbundes, mit Dr. Gerhard Wagner, Vorsitzender des NS-Ärztebundes. Das Treffen mündete in der Vereinbarung, „jüdische und solche Kollegen, die sich der neuen Ordnung innerlich nicht anschließen können, zur Niederlegung ihrer Ämter in Vorständen und Ausschüssen zu veranlassen“.
Das Schicksal der Dr. Magdalena Schwarz
Magdalena Schwarz wird als Magdalena Buchwald in Berlin als Tochter eines Seidenstofffabrikanten geboren. Sie studiert in München Medizin, besteht ihr Examen mit „gut“ und erhält 1930 ihre Approbation. Sie ist Katholikin, gilt im Sinne der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung aber als Jüdin und ist somit allen Maßnahmen der Diskriminierung, Entrechtung und beruflichen Verdrängung ausgesetzt. Im September 1938 wird ihr wie allen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen.
Sie ist eine der 14 Ärztinnen und Ärzte in München, die auf Widerruf als „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten zugelassen werden. Mit einem Nicht-Juden befreundet, wird sie denunziert und kommt 1939 wegen „Rassenschande“ für acht Monate ins Zuchthaus. Nach ihrer Entlassung versucht sie mit Unterstützung eines Rechtsanwalts, der ihr eine Stelle in einem Krankenhaus in Brasilien vermittelt, auszuwandern. Doch vergebens, der zweite Weltkrieg hatte inzwischen begonnen. Sie kommt im isrealitischen Krankenhaus unter und betreut unter anderem in den Sammelstellen die zur Deportation bestimmten Menschen. Sie wird als eine Frau beschrieben, die „mutig, ohne je an die eigene Gefahr zu denken, half, wo sie konnte“. Im Februar steht Magdalena Schwarz auf der letzten Deportationsliste aus München. Durch das mutige Eingreifens eines Kollegen wird sie gerettet und vom Leiter der psychiatrischen Abteilung im Schwabinger Krankenhaus in der geschlossenen Abteilung versteckt. Nach der Befreiung arbeitet Magdalena Schwarz weiter als Allgemeinärztin. Bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 1971 praktiziert sie in der Mandlstraße in München.
Gekürzter Auszug aus dem Begleitheft zur Ausstellung „Fegt alle hinweg“ – Entzug der Approbation jüdischer Ärztinnen und Ärzte 1938
Den Kollegen wurde die Existenzgrundlage entzogen
Für den Fall, dass Dr. Stauder sich dem nicht unterworfen hätte, stand die SA bereit. Dafür gab es allerdings gar keine Notwendigkeit. Die ärztliche Selbstverwaltung erwies sich als „willig, ja übereifrig“. Und das nicht nur, weil die Ärzteschaft weit stärker als andere Berufe NS-verbunden war: Man versprach sich darüber eine Aufwertung der eigenen Strukturen. Darüber hinaus brachte der Ausschluss der jüdischen Kollegen handfeste ökonomische Vorteile. So umreißen es die einleitenden Worte zur Ausstellung „Fegt alle hinweg“, die 2008 anlässlich des 70. Jahrestages des nationalsozialistischen Approbationsentzuges erstellt wurde. Aktuell jährt sich der 30. September 1938, an dem den letzten 3152 in Deutschland noch praktizierenden jüdischen Ärztinnen und Ärzten ihre Existenzgrundlage entzogen wurde, zum 80. Mal. Mehr als 8000 Praktizierende wurden damals vom Beruf ausgeschlossen, vom renomierten Wissenschaftler bis zum Assistenten. Vor allem aber Kassenärzte: Rund 60 % der Ausgeschlossenen waren Niedergelassene.Ausstellung dokumentiert über 20 Schicksale
Kern der Ausstellung sind 20 individuelle Lebensgeschichten von Ärztinnen und Ärzten aus München, Nürnberg, Fürth, Ansbach, Augsburg und Bad Orb. Zehn der Porträtierten sahen sich gezwungen zu emigrieren. Drei der Ärzte sahen keinen Ausweg als den Suizid. Drei Ärzte verstarben im Konzentrationslager. Eine Ärztin überlebte in einem Versteck, eine andere in einer „Mischehe“. Einer wurde als exponierter Nazi-Gegner bereits 1933 in Dachau ermordet. Und eine Ärztin (siehe Bild) wurde vor der letzten Deportation im Krankenhaus versteckt und praktizierte bis 1971 in München. Entstanden ist die Ausstellung auf der Grundlage der 1988 herausgegebenen Dokumentation „Schicksale jüdischer und ‚staatsfeindlicher‘ Ärztinnen und Ärzte nach 1933 in München“. In den 1980er habe es noch erhebliche Widerstände in den Standesorganisationen gegeben, berichten Ideengeber Dr. Hansjörg Ebell, Facharzt für psychosomatische Medizin, und Kuratorin Ursula Ebell. Es sei zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Als „Nestbeschmutzer“ sei beschimpft worden, wer das verdrängte und mit Schuld beladene Thema aufgegriffen habe. Nur kurz zuvor, nämlich erst 1986, war die Kölner Haedenkampstraße, in der die Bundesärztekammer seit 1956 ansässig war, umbenannt worden, nämlich nach Herbert Lewin, den verfolgten Chefarzt des Israelitischen Krankenhauses in Köln. Der bisherige Namensgeber, Dr. Karl Haedenkamp, war 1933 zur Ausschaltung jüdischer und kommunistischer Ärzte ins Reichsarbeitsministerium berufen worden, er hatte sich beizeiten angedient. Die Zahl der jüdischen und sozialistischen Ärzte, an deren Ausschaltung Haedenkamp beteiligt war, wird auf etwa 6000 beziffert. Zum 70. Jahrestag des Approbationsentzugs in München wurde die Ausstellung u.a. vom Ärztlichen Kreis- und Bezirksverband München sowie der KV Bayerns unterstützt. Seitdem wurde sie um 16 Tafeln mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten erweitert und stieß an über 40 Ausstellungsorten – darunter auch bei der Bundesärztekammer und auf dem Deutschen Ärztetag – auf großes Interesse.„Fegt alle hinweg“
Die Ausstellung „Fegt alle hinweg“ ist zu sehen vom 25.10. bis 30.11.2018 in Darmstadt im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zum Approbationsentzug jüdischer Ärzte 1938. Offenes Haus, Evangelischen Forum Darmstadt