DGIM-Sonderstatus entzogen NS-Täter als Ehrenmitglieder?
Während des Nationalsozialismus haben auch viele Mediziner sich schuldig gemacht. Einige verschrieben sich der vom NS-Staat propagierten „Rassenhygiene“, führten Zwangssterilisationen durch oder initiierten grausame Experimente an KZ-Häftlingen. Sie beteiligten sich an der Tötung von Menschen mit Behinderung oder Personen mit psychischen Erkrankungen. Andere Ärzte begingen keine Medizinverbrechen, nutzten aber die Verfolgung von Kollegen für ihre eigene Karriere, huldigten Adolf Hitler und leisteten vorauseilenden Gehorsam. Wieder andere sahen weg und schwiegen. Die Liste ist unvollständig.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) geht nun einen neuen Schritt, um die Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit fortzusetzen: Sie erkennt fünf Ehrenmitgliedern, die sich zwischen 1939 und 1945 schuldig gemacht haben, die Ehrenmitgliedschaft ab.
Zeichen für Demokratie und Menschlichkeit
„Wir wollen ein deutliches Zeichen setzen in einer Zeit, in der Menschenwürde, Freiheit und Demokratie für manchen keine Selbstverständlichkeit mehr sind“, betont der Vorsitzende Professor Dr. Markus Lerch.
Namentlich handelt es sich bei den Ärzten um Alfred Schittenhelm, Alfred Schwenkenbecher, Hans Dietlen, Siegfried Koller und Georg Schaltenbrand. „Sie haben bewusst Kollegen, anderen Mitgliedern unserer Fachgesellschaft oder einfach anderen Menschen aufgrund ihrer Herkunft geschadet. Daher sind sie für die DGIM als Ehrenmitglieder nicht tragbar“, begründet Prof. Lerch die Entscheidung.
Die NS-Taten der ehemaligen Ehrenmitglieder
Vergangenheit wurde lange verdrängt
Bei ihrer Pressekonferenz blickten die Vertreter der DGIM auch kritisch auf die Jahre nach 1945. Denn die Fachgesellschaft ernannte die belasteten Mediziner nicht etwa während der NS-Zeit zu Ehrenmitgliedern, sondern zwischen 1949 und 1978 – ihre Taten waren zum Teil bekannt und dokumentiert. Trotzdem machten die Ärzte teilweise steile Karrieren. Ein kritischer Umgang der DGIM mit ihrer Vergangenheit war nicht immer gegeben: In einem 1982 herausgegebenen Jubiläumsband zum 100-jährigen Bestehen der Fachgesellschaft redigierte man aus den Reden der Vorsitzenden der NS-Zeit ohne Hinweis alle Lobpreisungen an Hitler und die „Neue Ordnung“ heraus, ebenso die Schwerpunktsetzungen der Kongresse in Richtung „Rassenhygiene“ und „Völkische Medizin“. Professor Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM, unterstreicht, es gebe und gab eine gesamtgesellschaftliche Verdrängung. „Die erste Nachkriegsgeneration nach dem zweiten Weltkrieg wuchs in dem verbreiteten Glauben auf, dass ihre Eltern von einer ‚nationalsozialistischen Clique‘ in einen Krieg und ein globales Verbrechen geführt wurden, mit der in der breiten Bevölkerung ein mehr oder weniger weitgehender Dissens bestand.“ Mit den Nürnberger Prozessen und der vermeintlichen „Entnazifizierung“ der Bevölkerung habe man einen „Schlussstrich“ gezogen. Zusätzlich habe es in den Fachgesellschaften „lange Zeit Zurückhaltung gegeben, noch lebende Akteure dieser Zeit zu belasten oder das Andenken Verstorbener gewissermaßen zu beflecken.“ In der unmittelbaren Nachkriegszeit habe meist eine Kontinuität der wissenschaftlichen und medizinischen Karrieren bestanden. Die Schüler belasteter Mediziner hätten ihre Solidarität auch nach Bekanntwerden der „Verstrickungen“ aufrechterhalten. Diese Faktoren trugen dazu bei, dass die DGIM sich erst seit einigen Jahren mit ihrer NS-Vergangenheit beschäftigt. 2013 rief sie die „Leopold-Lichtwitz-Medaille“ ins Leben, ihre wichtigste Auszeichnung. Sie ist nach dem Vorsitzenden der DGIM im Jahr 1933 benannt, der wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA emigrieren musste. 2015 beauftragte die Fachgesellschaft dann ein Team unabhängiger Historiker damit, die Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus anhand umfangreicher Quellenstudien aufzuarbeiten. Die Ergebnisse wurden unter anderem in einer Monografie veröffentlicht. Dort heißt es: „Betrachtet man die 30 von 1949 bis 1959 gewählten Ehrenmitglieder der DGIM, so wird man zehn, also genau ein Drittel, als so schwer belastet ansehen müssen, dass sie, eine gewisse geschichtspolitische Sensibilität vorausgesetzt, nicht hätten Ehrenmitglied werden dürfen.“1 Die DGIM erklärte bereits 2015, dass die Ernennung NS-belasteter Mediziner „keinesfalls zu billigen“ gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sah sie allerdings noch von einer Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft ab, „um deutlich zu machen, dass im historischen Bewusstsein bleiben soll, welche Verfehlungen Mitglieder der DGIM im Nationalsozialismus begangen haben.“ Nun, da doch Ehrenmitgliedschaften entzogen werden, will die Fachgesellschaft trotzdem nicht in Vergessenheit geraten lassen, dass die fraglichen Personen überhaupt gewürdigt wurden. In den kommenden Jahren will die DGIM ihre Aufarbeitung weiter fortsetzen. „Die Forschungen gehen weiter, um das Gedenken an die Opfer aufrecht zu erhalten und mahnend daran zu erinnern, wie sich einst Internisten und eine wissenschaftliche Fachgesellschaft in den Dienst einer menschenverachtenden Ideologie stellten“, so Prof. Ertl.Quelle:
1. Forsbach, R. & Hofer, H. (2018): Internisten in Diktatur und junger Demokratie: Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin 1933–1970. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Medical-Tribune-Bericht