Hat eine AU ohne persönlichen Kontakt ausreichende Beweiskraft?
In einem Musterprozess am Landgericht Hamburg will die Selbstkontrollinstitution klären lassen, ob der Anbieter von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen nach § 9 Heilmittelwerbegesetz verstößt (Az.: 406 HKO 165/19).
Das Geschäftsmodell lautet „Krankschreibung ohne Arztbesuch“. Bei Testbestellungen sei es zu keinem Kontakt des Kunden mit dem Privatarzt gekommen, der aufgrund angeklickter Symptom-Optionen die Bescheinigungen ausstellt, berichtet die Wettbewerbszentrale.
Sie hält die Aussage „100 % gültiger AU-Schein“ auf der Startseite für irreführend. Diese erwecke den Eindruck, dass die so beworbene Krankschreibung alle rechtlichen Anforderungen erfülle. Die Formalitäten zur Vorlage beim Arbeitgeber mögen zwar eingehalten sein, meinen die Kritiker aus Bad Homburg. Dass diese Bescheinigungen „aber auch arbeits- und berufsrechtlichen Anforderungen genügen, wird von etlichen Juristen bezweifelt.“
Die Wettbewerbszentrale meint, dass es wegen der besonderen Beweiskraft der Bescheinigung erforderlich sei, dass diese von einem Arzt nach persönlichem Kontakt mit dem Patienten ausgestellt wird.
Das Selbstkontrollorgan der deutschen Wirtschaft verweist auf eine nicht rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts München vom Juli 2019. Das Gericht hatte dem Versicherer ottonova untersagt, für Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuchs zu werben. Dabei wird den Versicherten angeboten, mittels einer App von Schweizer Ärzten Diagnosen oder Therapieempfehlungen zu erhalten.
Digitale-Versorgung-Gesetz schränkt das Werbeverbot ein
Das Berufungsgericht wird sich auch mit der Änderung des § 9 Heilmittelwerbegesetz auseinandersetzen müssen. Gemäß dem Digitale-Versorgung-Gesetz gilt das Fernbehandlungs-Werbeverbot nämlich dann nicht, „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“. Auch mit dieser Änderung bleibe die Werbung für die geschilderten Primärversorgungsmodelle unzulässig, meinen die Wettbewerbshüter.
Quelle: Pressemitteilung – Wettbewerbszentrale