Heilpraktiker darf alles, was nicht verboten ist

Autor: Ruth Bahners, Foto: thinkstock

Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Diesem zweifelhaften Grundsatz folgen die Heilpraktiker in Deutschland. Nach Todesfällen im Zusammenhang mit Behandlungen durch einen Heilpraktiker in Nordrhein-Westfalen ist die Politik aufgeschreckt.

Grundlage für Ausbildung und Tätigkeit der rund 43 000 Heilpraktiker ist das Heilpraktikergesetz aus dem Jahr 1939. Auf Betreiben der Ärzteschaft sollte es eigentlich zum Aussterben dieses Berufes führen, denn es verbot die Ausbildung weiterer Heilpraktiker und die Zulassung neuer Heilpraktiker. Nach dem Krieg wurde das Ausbildungsverbot in der Bundesrepublik jedoch aufgehoben.

Voraussetzungen für die Tätigkeit als Heilpraktiker ist ein Mindestalter von 25 Jahren, ein Hauptschulabschluss sowie "gesundheitliche Eignung" und "sittliche Zuverlässigkeit". Kein Abitur, kein Hochschulstudium, nicht einmal der Nachweis einer Ausbildung an einer der zahlreichen Heilpraktikerschulen werden verlangt.

Keine Leistungskontrolle, die eine Qualifikation feststellt

Die Erlaubnis zur Ausübung der Heiltätigkeit setzt eine Prüfung voraus. Damit soll festgestellt werden, dass der Antragsteller durch die Ausübung der Heilkunde nicht zu einer Gefährdung der menschlichen Gesundheit beiträgt.

"Die Überprüfung ist keine Prüfung im Sinne einer Leistungskontrolle zur Feststellung einer bestimmten Qualifikation", heißt es in den Richtlinien zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes in Nordrhein-Westfalen. Die Prüfung übernehmen Gesundheitsämter, gegen eine Gebühr von 490 Euro wie in Köln zum Beispiel.

Drei von vier Prüflingen fallen durch – und wiederholen

Die schriftliche Überprüfung dauert in Köln zwei Stunden und besteht aus 60 Multiple-Choice-Aufgaben. Nach bestandener schriftlicher Prüfung schließt sich eine mündliche Überprüfung von ungefähr 45 Minuten durch den Amtsarzt an.

Prüfungsthemen sind die recht­lichen Grenzen der Heilpraktikertätigkeit sowie Grenzen und Gefahren diagnostischer und therapeutischer Methoden bei der nicht ärztlichen Ausübung der Heilkunde. "Basale" Kenntnisse der Anatomie und der Physiologie, der allgemeinen Krankheitslehre sowie zum Erkennen häufiger Krankheiten, insbesondere von Stoff­wechsel­erkrankungen, bösartigen Neubildungen sowie seelischen Erkrankungen werden geprüft. Auch die Erstversorgung akuter Notfälle gehört zum Prüfungsstoff. Dito: Praxishygiene.

Ebenfalls nur "Basiskenntnisse" werden gefordert bei der Anamneseerhebung und der unmittelbaren Kranken­untersuchung, bei der Bewertung grundlegender Laborwerte sowie bei Injektions- und Punk­tionstechniken. Bis zu 75 % der Prüflinge fallen nach Angaben des Fachverbands Deutscher Heilpraktiker durch. Die Prüfung kann beliebig oft wiederholt werden. Die hohe Durchfallquote spricht einerseits für die Strenge der Prüfungen, andererseits aber auch für Mängel in der Ausbildung zum Heilpraktiker.

Die Ausbildung ist ungeregelt. Weder der Besuch einer Heilpraktikerschule ist zwingend vorgeschrieben noch der Inhalt der Ausbildung an diesen Schulen. Und trotzdem ist zuge­lassenen Heilpraktikern (fast) alles erlaubt, was die Heilkunde hergibt. "Was nicht verboten ist, ist erlaubt", formuliert es Staatsanwalt Axel Stahl, Leiter der Ermittlungen gegen den nieder­rheinischen Heilpraktiker (siehe Kasten).

Verboten sind Zahnmedizin, Geburtshilfe, Leichenschau

Und ausdrücklich verboten ist wenig: die Behandlung meldepflichtiger Krankheiten, Zahnmedizin, Geburtshilfe, Strahlentherapie und Leichenschau. Ungeprüft bleibt die naturheilkundliche Qualifizierung von Heilpraktikern. Sie dürfen Patienten zur Ader lassen, mit Gasen hantieren, diese in alle Körperöffnungen einführen oder Blut damit anreichern, ohne dass eine staatliche Stelle überprüft, ob sie diese Techniken überhaupt beherrschen.

"Der Heilpraktiker muss nicht nachweisen, dass er über naturkundliche Fachkenntnisse verfügt, sondern nur, dass er Patienten nicht gefährdet", so Rechtsanwalt Rene Sasse aus Dortmund in einem aktuellen Gutachten für den Berufsverband Freie Heilpraktiker.

Einheitliche Standards? Ein Widerspruch zur Vielfalt

Die Heilpraktiker wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Sie lehnen eine einheitliche Ausbildung ab. "Einheitliche Ausbildungsstandards für alternativmedizinische Verfahren widersprechen der nicht normierbaren Vielfalt naturheilkundlicher Therapieverfahren", heißt in einer Stellungnahme des Verbands Freier Heilpraktiker zu den Vorkommnissen am Niederrhein.

Eine verbindliche Berufsordnung gibt es für Heilpraktiker genauso wenig wie eine Gebührenordnung. Beides existiert zwar dem Begriff nach, ist aber völlig unverbindlich. Die meisten Leistungen dieser Berufsgruppe werden von den Patienten auf Basis von Behandlungsverträgen selbst bezahlt. Einige gesetzliche Krankenversicherungen wie etwa die Techniker Krankenkasse erstatten Heilpraktiker-Leistungen als Satzungsleistungen.

Die privaten Krankenversicherungen bieten spezielle Tarife an. Sie gaben nach Angaben des PKV-Verbandes im Jahr 2014 rund 264,2 Millionen Euro für die Behandlung durch Heilpraktiker aus. Das entspricht einem Anteil von 2,5 % an den Gesamtausgaben. Im Vergleich dazu waren es 5,8 Milliarden Euro für die ärztliche Behandlung, ein Anteil von 53,8 %. Mehr als die Hälfte der Ausgaben (52,5 %) für Heilpraktikerbehandlungen wurden für Frauen ausgegeben, gefolgt von Männern mit 32,9 % und Kindern mit 14,6 %.

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) fordert seit Jahren Änderungen: "Unabhängig vom konkreten Fall brauchen wir ein zeitgemäßes Bundes-Heilpraktikergesetz." Für problematisch hält Steffens, dass es im Gegensatz zu den Pflege- und Gesundheitsfachberufen kein Berufsgesetz bzw. keine Ausbildungs- und Prüfungsordnung gebe. Damit seien Ausbildungsinhalte, -ziele und -dauer, Zugangsvoraussetzungen sowie eine staatliche Abschlussprüfung nicht geregelt.

"Weil komplementäre und naturheilkundliche Behandlungsansätze von vielen Menschen gewollt und im Grundsatz sinnvoll sind, halte ich es für dringend geboten, dass der Bund hier endlich tätig wird", so die Düsseldorfer Ministerin.

Idee: Vor dem Heilpraktiker die Pflichtberatung beim Arzt

Professor Dr. Karl Lauterbach, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fordert, eine Beratungspflicht durch einen Arzt einzuführen, bevor schwer kranke Patienten sich in die Hände eines Heilpraktikers begeben. Rudolf Henke, Ärztekammerpräsident in Nordrhein und Bundestagsabgeordneter der CDU, ist überzeugt, dass der Gesetzgeber sich nach der Sommerpause der Heilpraktiker-Problematik annehmen wird.


Quelle: Medical-Tribune-Recherche