Ich bin „Babycaust“-Leugner
Da stehen sie wieder auf der Matte, die selbsternannten, meist religiös motivierten Wächter über Sitte und Anstand, über Moral und Ethik! Mit ihrer Anzeige haben sie dafür gesorgt, dass Kristina Hänel wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche von einem deutschen Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Was hat die Gießener Gynäkologin verbrochen?
Auf ihrer Webseite hatte sie darüber informiert, dass Schwangerschaftsabbrüche zum Leistungsspektrum ihrer Praxis zählen. Wer dort seine E-Mail-Adresse einträgt, bekommt eine automatisierte Antwort. Im Anhang findet sich dann eine Broschüre, die über die gesetzlichen Regelungen für einen Schwangerschaftsabbruch aufklärt, den Unterschied zwischen medikamentöser und chirurgischer Behandlung erläutert und mögliche Nebenwirkungen nennt. Nach Ansicht militanter Abtreibungsgegner, aber auch deutscher Richter verstößt Frau Hänel damit gegen den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs.
In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? Interessant, dass dieser Paragraf schon seit 1933 gilt. Warum sollen sich Frauen nicht über den Schwangerschaftsabbruch, die Methoden und Kosten sowie über hierfür infrage kommende Arztpraxen oder Kliniken informieren können? Nach der gesetzlichen Regelung ist der Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig, wenn er innerhalb der Dreimonatsfrist nach Pflichtberatung ärztlich durchgeführt wird. Umso absurder erscheint es da, dass Informationen darüber gleichzeitig strafbar sein sollen.
Auch die Beratungsstellen hadern seit jeher mit der Rechtssituation und berichten, dass sie kaum auf die individuellen Bedürfnisse und Interessen mancher Frau eingehen können, weil sie ja im Sinne einer Fortführung der Schwangerschaft beraten sollen, aber „ergebnisoffen“. Im Hintergrund steht die unsägliche Formulierung des Verfassungsgerichts, die Schwangere habe eine „Austragungspflicht“. Auch dieses Urteil ist schon ein Vierteljahrhundert alt.
Kristina Hänel wurde mehrfach von der Initiative „Nie wieder“ aus Weinheim angezeigt. Dieser angeblich so christlich geprägte Verein bezeichnet Schwangerschaftsabbrüche in Anlehnung an den Begriff Holocaust teils als „Babycaust“ und den Eingriff der Ärzte als „Mord“. Auf seiner Webseite werden Praxen und Kliniken aufgelistet, die solche „Kindstötungen“ durchführen.
Das sind nach der zweifelhaften Rechtssituation die einzigen Internet-Seiten, auf denen betroffene Frauen herausfinden können, wer medikamentöse oder chirurgische Abbrüche anbietet. Was mag in Frauen vorgehen, die vor einer psychisch schwierigen Entscheidung stehen und dann auf der Suche nach Information mit derartigen Begriffen konfrontiert werden?
Die Abschaffung des Paragrafen 219a ist längst überfällig. Das Gesetz widerspricht unserer heutigen Vorstellung von freier Arztwahl, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Und es verhindert, dass Frauen sich unabhängig und eigenständig über medizinische Möglichkeiten informieren können. Wir brauchen kein Strafgesetz aus Nazizeiten, das Ärztinnen kriminalisiert, die auf ihren Webseiten einfach aufzählen, welche medizinischen Dienste sie anbieten.
Insofern ist Kristina Hänel ein langer Atem beim Gang durch die juristischen Instanzen zu wünschen. Die Hoffnung, dass der Gesetzgeber selbst sich zu einer Reform durchringen möge, ist nämlich wohl allzu blauäugig.