Interview IDF-Präsident Professor Dr. Peter Schwarz für globales Diabetes-Education-Programm
Als IDF-Präsident sind Sie weltweit viel unterwegs. Wo befinden Sie sich gerade (Anfang September)?
Professor Dr. Peter Schwarz: In Dresden, aber schon fast auf dem Abflug nach Abidjan, Elfenbeinküste. Dort findet der größte afrikanische Diabetes-Kongress mit knapp 20.000 Teilnehmenden statt. Die starke Zunahme von Menschen mit Diabetes liegt künftig nicht in Europa oder Nordamerika, sondern in Afrika. Andere Länder haben z. B. viel höhere – teilweise doppelt oder sogar dreifach so hohe – Prävalenzen beim Typ-2-Diabetes wie wir in Deutschland. Zwar befinden sich auch Indien, Bangladesch, Pakistan und China hier schon auf einem hohen Niveau; der stärkste Anstieg wird aber in den nächsten zehn Jahren in Afrika erwartet.
Welche Länder sind betroffen?
Prof. Schwarz: Der gesamte Subsahara-Gürtel. In Tansania z. B. nimmt die Prävalenz des Typ-2-Diabetes drastisch zu, ähnlich wie in Westafrika.
Woran liegt das?
Prof. Schwarz: Das ist nicht so einfach zu sagen, vermutlich an dem hohen Konsum an frittierten Speisen, die dort sehr beliebt sind.
Kann die steigende Zahl an Menschen mit Typ-2-Diabetes auch auf eine bessere Diagnosestellung zurückzuführen sein?
Prof. Schwarz: Nein, das ist eher für den Typ-1-Diabetes relevant, nicht aber für den Typ-2-Diabetes. Im Gegenteil: Die Rate der nicht diagnostizierten Menschen mit Typ-2-Diabetes ist viel höher als die der diagnostizierten. In Sri Lanka geht man etwa davon aus, dass 80 % der Betroffenen nicht entdeckt werden, obwohl das Land eine sehr gute Versorgungsstruktur für Menschen mit Diabetes hat.
Was machen die Sri Lanker anders?
Prof. Schwarz: Die Krankenversorgung ist dort zentralisiert und wird komplett vom Gesundheitsministerium bezahlt. Die Diabetesversorgung ist demnach vollständig frei zugänglich für jede*n. Die Behandlung verläuft bei jeder Ärztin bzw. jedem Arzt in Sri Lanka gleich, damit ist auch die Qualität überall die gleiche. In Deutschland gibt es viele unterschiedliche Leitlinien. Wir haben z. B. Disease-Management-Programme, an denen die Patient*innen teilnehmen oder eben nicht – das ist regional sehr unterschiedlich. Wer im Erzgebirge wohnt, für den ist die Erreichbarkeit der Diabetologie schlechter als in Dortmund. In Sri Lanka findet man solche Strukturen nicht vor.
Mit der Früherkennung läuft es dort aber doch schlecht, wenn der Typ-2-Diabetes meist nicht erkannt wird …
Prof. Schwarz: Das stimmt schon, liegt aber daran, dass die Menschen dort nicht in die Arztpraxis kommen. In Deutschland gibt es den Check-up 35 und regelmäßige Diabetes-Screenings. Aber auch das bewirkt ja nicht, dass man bei uns mehr Menschen mit Diabetes diagnostiziert. In Sri Lanka sind sie jedoch schon einen großen Schritt weiter, weil sie das Problem konkret mit Screening-Programmen angehen. Ich war dort in einer Live-Fernsehsendung zum Thema Diabetes, wo wir dazu aufriefen, sich screenen zu lassen. Auch Bangladesch z. B. hat eine Diabetesversorgung im gesamten Land aus einer Hand. Diese zentralisierten Strukturen sind beim Diabetes hilfreich.
Sri Lanka und Bangladesch sind auch Beispiele für Länder, die ganz entscheidend an der Umsetzung der internationalen Diabetesleitlinien mitwirken, da sie sehr eng mit der International Diabetes Federation zusammenarbeiten.
Was muss getan werden, um in diesen Ländern auch den Typ-1-Diabetes frühzeitig zu erkennen?
Prof. Schwarz: Wir sollten das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Investieren wir nur in das Auffinden der Betroffenen, haben aber keine Versorgungsstruktur, dann scheitern wir. Schritt eins ist, dass Insulin überall verfügbar und erreichbar sein muss. Es geht also um Availability und Accessibility. Das Gesundheitsministerium im jeweiligen Land muss diese Medikamente zur Verfügung stellen. Das ist momentan die Hürde. Insulin liegt auf Platz 1 und 2 der WHO-Liste für essenzielle Medikamente. Schritt zwei ist, dass sich die Gesundheitsministerien dieser Welt an dieser Liste orientieren und diese Medikamente vorrätig haben. Erst dann kann man anfangen zu screenen bzw. in eine bessere Diagnose des Typ-1-Diabetes investieren.
Welche konkreten Pläne verfolgen Sie als IDF-Präsident?
Prof. Schwarz: Ich habe drei Ziele. Das erste ist quasi die IDF in der Hosentasche jeder Patientin oder jedes Patienten. Wir wollen mit Google, YouTube und Microsoft zusammenarbeiten, um ein globales Diabetes-Education-Programm zu entwickeln. Damit auch Menschen, die wenig Geld haben, eine ordentliche Diabetesschulung via Smartphone bekommen können – auf dem Niveau, das wir aus Deutschland kennen. Wer kein Smartphone hat, kann in ein Community-Health-Center gehen und dort an einer Online-Schulung teilnehmen.
Das zweite Ziel ist ein globaler Diabetes-Index. Einmal im Jahr sollen 100.000 Patient*innen und 100.000 Ärzt*innen in allen Ländern weltweit befragt und daraus ein Index geschaffen werden, der von 0 bis 100 reicht. Alle Abstufungen bis 100 repräsentieren dann die Qualität der Diabetesversorgung in dem jeweiligen Land. Damit kann man die Länder untereinander vergleichen, wie Deutschland mit den USA oder mit Bangladesch. Die Ergebnisse dürften sehr interessant sein. Das Gefälle in Europa beträgt heute schon 44 %. Es gibt Länder, die liegen bei 78 %, andere bei 35 %. Das Schlusslicht bildet ein kleiner osteuropäischer Staat mit 43 %, das Land mit der besten Versorgung ist Schweden mit 78 %. Deutschland liegt im Mittelfeld.
Das dritte Ziel ist der Aufbau eines Fellowship-Programms, bei dem man als Ärztin oder Arzt, als Studierende*r oder Apotheker*in Mitglied werden kann. Alle Weiterbildungsinhalte stellt die IDF School of Diabetes kostenfrei zur Verfügung. Wir wollen eine Matrix bauen aus allem verfügbaren Diabeteswissen und allen Aktivitäten, die man für eine gute Diabetesversorgung braucht – von grundlegend bis advanced. Jedes dieser Anliegen soll mit digitalen Weiterbildungsinhalten wie Fortbildungsvideos besetzt werden, sodass z. B. ein Arzt im Kongo, statt zu einem Kongress reisen zu müssen, online eine Weiterbildung zum Diabetologen erhalten kann.
In Deutschland steckt die Diabetologie aufgrund aktueller Gesetzesvorhaben wie Krankenhausreform oder Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz in einem Dilemma. Der BVND hat eine Petition gestartet, der BVKD fordert, dass für die Leistungsgruppe Endokrinologie/Diabetologie zwingend die Zusatzqualifikation Diabetolog*in DDG anerkannt werden muss. Was sagen Sie dazu?
Prof. Schwarz: Es gibt in Deutschland immer noch keine nationale Diabetes-Strategie und jetzt geht es hier richtig los mit den neuen Gesetzen, die stark eingreifen in die Diabetesversorgung. Gemessen an unserer Erfahrung ist das ein Rückschritt. Denn die Behandlung von Menschen mit Diabetes wird jetzt anders klassifiziert. Der Hintergrund ist, dass es immer mehr Gesundheitspolitiker*innen gibt, die davon ausgehen, dass mit dem wöchentlichen Insulin und den GLP1-Analoga das Diabetesproblem eigentlich gelöst ist. Diabetes interessiert somit immer weniger und die Politik geht davon aus, dass durch Substanzen wie Semaglutid das Gewichtsproblem medikamentös gelöst werden kann. Es geht nicht mehr um Verhältnisprävention. Das ist fatal.